Casteel-Saga 04 - Nacht über Eden
man das Alter nicht so sehr an wie dem Butler. Er war offensichtlich froh darüber, einen weiteren Esser am Tisch zu haben, und die Portion, die er auf meinen Teller häufte, hätte für drei gereicht. Ich mochte ihn. Er hat Sinn für Humor, und er kümmert sich anscheinend gut um Tony.«
»Oh, ich wünschte mir, ich wäre auch dort gewesen!« Jeder Augenblick hätte mir ein Geheimnis enthüllt und mir erlaubt, die Vergangenheit der Familie besser zu verstehen, dachte ich. Jene Treppen hinauf zu gehen und das Zimmer meiner Urgroßmutter und meiner Mutter zu betreten! Vielleicht hätte ich etwas gesehen, das sofort das Rätsel gelöst hätte, warum meine Mutter Tony Tatterton nicht mochte.
Aber vor allem wäre ich in Lukes und meine Traumwelt eingetreten. Würde sie unseren Vorstellungen entsprechen? Würde Farthinggale der Ort sein, an dem wir frei und offen miteinander sein konnten? Wären wir dort abgeschirmt und geschützt vor all den häßlichen, grausamen und störenden Dingen, die das Leben manchmal zu solch einer Last machten?
Das Haus so zu malen, wie es wirklich war! Wie aufregend das wäre! In Gedanken ließ ich mich auf der großen Rasenfläche am Eingang nieder, und das mächtige Gebäude lag vor mir.
»Du würdest nicht dort bleiben wollen«, sagte Drake in entmutigendem Ton, »es war traurig. Ich habe Tony versprochen, in Kontakt mit ihm zu bleiben, und ich denke, daß ich ihn in einigen Tagen anrufen werde. Mir gefällt die Vorstellung, in seinem Unternehmen zu arbeiten, in leitender Stellung natürlich. Aber erzähle Heaven nicht, daß ich das gesagt habe.«
»Natürlich nicht.« Und wieder war ich über Drakes Absicht erstaunt, dies alles nicht nur vor meiner Mutter geheimzuhalten, sondern auch seine Verbindung mit Tony Tatterton aufrechtzuerhalten, eine Tatsache, die ihr zutiefst mißfallen würde. Ich fragte mich, was für ein Mann Tony Tatterton wohl war, da er einen so nachhaltigen Eindruck auf Drake gemacht hatte.
»Nun gut, ich werde dich in einigen Wochen wiedersehen. Ich fürchte, ich werde nicht zu Fannys großer Geburtstagsparty kommen können. Es tut mir aufrichtig leid. Sie schrieb mir, daß sie schon eine Band engagiert habe. Sie hat Unmengen von Leuten eingeladen, auch einige Freunde unserer Eltern. Und sie hat sogar eine Firma beauftragt, ihr Haus und ihr Grundstück zu dekorieren. Könntest du dir vorstellen, dich selbst auf so pompöse Weise zu feiern? Ich bin sicher, daß sie nur Publikum für einen ihrer extravaganten Auftritte haben will. Du mußt mir nachher genau erzählen, welche lächerlichen und peinlichen Sachen sie sich diesmal wieder hat einfallen lassen. Ich denke, sie wird all ihre jugendlichen Liebhaber einladen, die sich um sie scharen werden wie Höflinge zu Füßen einer Königin.«
»Für Luke wird das alles sicher nicht sehr komisch«, sagte ich und war traurig, daß selbst Drake sich über Tante Fanny lustig machte. »Er will nicht einmal hingehen, er fürchtet sich richtig davor!« rief ich.
»So?« sagte Drake erstaunlich gleichgültig und kalt. »Sag ihm, er soll sich in seinem Zimmer verstecken. Ich rufe dich an, sobald ich wieder mit Tony gesprochen habe, und werde dir alles erzählen.«
Ich mußte immer daran denken, was er gesehen und erlebt hatte.
»O Drake, du bist der einzige von uns, der dort war. Und kaum bist du zurückgekommen, gehst du schon wieder hin.« Ich weinte wie ein eifersüchtiges kleines Mädchen. Ich konnte nicht anders.
»Durch mich wirst auch du dort sein«, versprach Drake, und seine Stimme war jetzt sanfter und freundlicher, »und es wird kein Märchenspiel mehr sein. Also, bis bald.«
Ich konnte kaum den nächsten Tag und die Mittagspause in der Schule erwarten, um Luke alles über Drakes Anruf zu erzählen. Ich nahm nicht an, daß er so aufgeregt sein würde wie ich. Schließlich hatte seine Familie keine Verbindung zu Farthy, und die Geheimnisse, die die Vergangenheit meiner Mutter umwölkten, betrafen ihn nicht direkt.
Jetzt saß er mir gegenüber, kaute lustlos an seinem Sandwich und hörte zu, doch ich sah, daß er zerstreut war und Kummer hatte. Ich dachte die ganzen restlichen Schulstunden an ihn und bat ihn dann, mit mir nach Hause zu gehen, da ich hoffte, ihn so eingehender befragen zu können.
Es war ein schöner Spätsommertag, doch es hätte ebensogut Hochsommer sein können. Dicke weiße Wolken trieben träge über den türkisblauen Himmel. Während Luke und ich durch die Straßen der Stadt gingen, hörten
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