Castello Christo
diesen Worten erhob sich der Papst schwerfällig von seinem Stuhl und ging mit staksigen Schritten zu seinem Schreibtisch. Matthias sah ihm die Schmerzen an, die die Bewegungen ihm bereiten mussten. Erst wenige Wochen zuvor hatte er seinen 78. Geburtstag gefeiert, und Matthias hatte gehört, dass er an Arthritis litt.
»Sie haben sicherlich nichts gegen eine Erfrischung einzuwenden«, sagte der Heilige Vater, während er den Telefonhörer abhob und jemanden bat, ihnen Saft zu bringen. Die Glaskaraffe mit der goldgelben Flüssigkeit musste schon bereitgestanden haben, denn Alexander IX. war noch nicht wieder an seinem Stuhl angelangt, als sich schon die Tür öffnete. Der Privatsekretär stellte das Tablett auf dem Schreibtisch ab und rückte dann einen kleinen Beistelltisch vor das Fenster, wo er zwei hohe Gläser füllte, um sich danach mit einem leichten Kopfnicken zurückzuziehen.
Alexander IX. nahm einen kleinen Schluck und stellte das Glas vorsichtig wieder ab.
»Ich habe in jener Nacht kein Auge zugetan. Ich habe hin und her überlegt, habe alle nur erdenklichen Möglichkeiten in Erwägung gezogen, bis ich schließlich gegen Morgen zu einem folgenschweren Entschluss gelangt bin. Vielleicht hätte ich die Entscheidung Nico überlassen sollen. Aber damals sah ich das anders. Ich glaubte, dass Nico nicht dazu in der Lage war, zu sehr quälte ihn wieder sein Schuldgefühl wegen Lucia. Ich sah nur, dass Nico Gefahr lief, sich noch mehr zu versündigen. An der Kirche und vor allem an Gott, dem er doch sein Leben geweiht hatte. Weil er mit einer großen Lüge leben wollte, die zwangsläufig weitere Lügen nach sich gezogen hätte. Und das war für einen Diener Gottes undenkbar.«
Matthias dachte über diese letzten Sätze nach, und ihm war schnell klar, dass sie nur eins bedeuten konnten.
»Sie haben es dem Bischof erzählt, nicht wahr?«, fragte er zaghaft.
Das Kirchenoberhaupt sah ihn an; es schien fast, als hätten die Gedanken an die Geschehnisse von damals die Furchen noch tiefer in sein Gesicht gegraben. »Ja, dashabe ich«, sagte er leise. »Und Nico hat mir das nie verziehen.«
Der Papst starrte wieder zum Fenster hinaus. An seinem Gesicht war abzulesen, wie sehr ihn die Schatten der Vergangenheit quälten. Es vergingen lange Minuten, bis er sich in der Lage fühlte, weiterzureden.
»Ich hatte damit gerechnet, dass Bischof Agostinelli nicht begeistert sein würde. Aber niemals hätte ich gedacht, dass er so reagieren würde, wie er es tat.« Er hielt wieder inne und wischte sich mit den Handrücken eine Träne ab, die über die Wange gelaufen war und sich in der tiefen Falte neben dem Mundwinkel verloren hatte. »Er hat Nico suspendiert. Nicht weil er sein Zölibat gebrochen hatte, sondern weil er nicht selbst zu ihm gekommen war.«
Er wartete einen Moment ab, ob Matthias etwas dazu sagen wollte, und fuhr fort, als der ihn nur stumm ansah.
»Sie müssen wissen, dass damals vieles noch strenger gehandhabt wurde als heute. Aber trotzdem – diese Strenge wäre auch zur damaligen Zeit nicht zwingend nötig gewesen. Die Suspendierung noch vor der Priesterweihe war praktisch gleichzusetzen mit dem Ende seines Dienstes in der kirchlichen Laufbahn. Es war klar, dass Nico danach niemals zum Priester geweiht werden würde.«
Der Papst richtete den Blick wieder gegen das Fenster, und Matthias spürte, dass der alte Mann noch seinen bitteren Gedanken nachhing. Mittlerweile faszinierte die Geschichte ihn so sehr, dass er es kaum erwarten konnte, zu erfahren, was aus Niccolò Gatto geworden war. Und was das alles mit den Morden zu tun hatte.
Innerlich aufgewühlt, nach außen hin jedoch völlig ruhig, wartete er, bis der Papst weitererzählte.
»Ich habe Nico danach nur noch ein einziges Mal gesehen,kurz nach seiner Suspendierung. Er hat mir schlimme Vorwürfe gemacht. Ich habe ihm klarzumachen versucht, dass ich ihm nur helfen wollte und dass er auf mich zählen könnte, aber es hatte keinen Zweck. Wir haben uns fürchterlich gestritten. Das Ganze endete damit, dass er mir erklärte, ich existiere ab diesem Tag nicht mehr für ihn. Es sei besser, keinen Freund zu haben, als in der Gewissheit zu leben, dass der Mensch, der ihm fast ein Bruder gewesen war, ein Denunziant sei.« Der Heilige Vater seufzte. »Was dann kam, ist schnell erzählt, denn ich weiß davon nur aus dem Munde Dritter. Nico und das Mädchen, von dem ich bis heute den Namen nicht kenne, zogen nach Sizilien. Nico ist noch vor der Geburt
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