Castello Christo
projizieren. Er kennt sich in vielen Dingen aus, die für diese Mordserie sehr wichtig sein können, von denen ein Polizist keine Ahnung hat.«
»Du hast wahrscheinlich recht . . .«, brummte Varotto und ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie eine höchst attraktive Frau war. Ihre Augen funkelten, wenn sie von dem Deutschen sprach. Plötzlich platzte aus ihm heraus, was ihm schon seit Tagen auf der Seele brannte. »Und was hältst du von ihm als ... Mann?«
»Das geht dich nichts an, Daniele.«
»Na, entschuldige, du gehörst ja quasi zur Familie, Alicia, da werde ich dich doch fragen dürfen, was du . . .«
»Zur
Familie?
«, unterbrach sie ihn barsch. »Francesca war meine Freundin, was aber nicht bedeutet, dass ich
dir
meine intimsten Gedanken anvertraue.« Sie stockte und biss sich auf die Lippen.
Varotto sah sie stumm an. Sie hatte ihm gerade ziemlich deutlich gesagt, was sie über den athletisch gebauten Deutschen mit den hellblonden Haaren dachte. Warum störte ihn das nur?
Vatikan. Apostolischer Palast
37
»Der Heilige Vater will alleine mit Ihnen sprechen.« Kardinal Voigt sah Matthias mit sorgenvollem Blick an. »Es geht um etwas sehr Persönliches. Etwas von großer Brisanz.«
Als Matthias stumm nickte, sah der Kardinal ihm noch zwei, drei Sekunden in die Augen, dann klopfte er an die hohe Tür.
Der Papst saß auf einem mit rotem Samt bezogenen Stuhl vor einem der meterhohen Fenster. Ihm gegenüber hatte sein Privatsekretär gesessen, der sich nun erhob, Matthias freundlich zunickte und wortlos den Raum verließ.
»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte Alexander IX. und deutete auf den Stuhl neben sich.
Matthias küsste den Siegelring des Papstes und setzte sich. Der Papst schloss die Augen und senkte den Kopf, so dass sein Kinn die Brust berührte. So saßen sie sich eineZeit lang gegenüber. Das Oberhaupt der katholischen Kirche war offensichtlich in ein stummes Gebet vertieft, und da er keine Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen, sah Matthias sich in dem Raum um. Staatsmänner aus aller Welt mussten hier schon gesessen haben. Päpste, die Bedeutendes vollbracht hatten. Hatte der Vorgänger von Alexander IX. nach seiner Wahl dieses Zimmer des Apostolischen Palastes noch betreten, bevor er hinaus auf die Benediktionsloggia getreten war, um den tausenden auf dem Petersplatz wartenden Gläubigen zuzuwinken? Bevor er, Matthias, der damals noch den Namen ...
»Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind, Bruder Matthias«, unterbrach ihn die Stimme des Papstes, die sich in diesem Moment so brüchig wie die eines Greises anhörte.
Matthias wunderte sich, dass der Papst ihn mit
Bruder
ansprach, obwohl er besser als jeder andere wusste, dass Matthias nur ein Dauergast in dem Kloster auf Sizilien war.
»Sie erinnern sich noch daran, was ich Ihnen vor zwei Tagen erzählt habe?«, wollte sein Gegenüber wissen.
Matthias nickte. »Ja, Eure Heiligkeit. Sie erzählten mir, dass sich ein Ihnen nahestehender Mensch vor vielen Jahren von der Kirche abgewandt und damit gedroht hat, sich einer Vereinigung anzuschließen, die die katholische Kirche zu Fall bringen würde. Sie wollten von mir wissen, ob ich mir vorstellen kann, dass er sich der Bruderschaft der Simoner angeschlossen hat, die mein . . .«
Alexander IX. nickte. »Die Erkenntnisse der letzten Tage haben mich zu der Einsicht gebracht, dass ich Ihnen mehr darüber erzählen muss, denn ich kann nicht mehr ausschließen, dass es eine Verbindung zu diesen schrecklichen Ereignissen gibt.«
Matthias spürte, wie sich ihm etwas Dumpfes, Schweres in den Magen legte. Der Papst sah ihm in die Augen und es schien, als wollte er ein letztes Mal darüber nachdenken, ob er sich ihm anvertrauen konnte oder nicht. Dann wandte er den Blick von Matthias ab und starrte aus dem Fenster, vor dem sie saßen.
»Ich bin in Molochio geboren und aufgewachsen, einem kleinen Dorf in Kalabrien. Ich hatte drei Schwestern und einen Verwandten, der bei uns wohnte. Er hieß Niccolò Gatto und war der Sohn einer Cousine meiner Mutter. Seine Eltern waren beide bei einem Unfall ums Leben gekommen und meine Eltern hatten den damals Dreijährigen aufgenommen. Niccolò wuchs mit uns zusammen auf, hatte aber immer das Gefühl, von unseren Eltern nicht so geliebt zu werden, wie sie ihre eigenen Kinder liebten.
Zwei meiner Schwestern starben früh, eine an einem Blinddarmdurchbruch, die älteste ein Jahr später an einer Lungenentzündung. Meine Eltern waren sehr religiös und
Weitere Kostenlose Bücher