Castello Christo
seines Sohnes aus der Kirche ausgetreten, voller Erbitterung über die Ungerechtigkeit, die ihm seiner Meinung nach widerfahren war. Viele, viele Jahre hörte ich nichts mehr von ihm. Dann kamen zwei Briefe. Der erste nach etwa 25 Jahren. Anfang November 1973 – ich war damals Sekretär der Kongregation für den Klerus. Er war hier in Rom aufgegeben worden, der Absender lautete schlicht N. G. Er war mit Schreibmaschine geschrieben, wohl um auch noch den letzten Rest einer persönlichen Bindung zu lösen, und es war der schrecklichste Brief, den ich in meinem ganzen Leben bekommen habe. Nico teilte mir darin mit, dass man seinen Sohn ermordet hatte. Ich sehe seine Zeilen noch vor mir, denn ich habe sie wohl tausendmal gelesen, kenne sie in- und auswendig.«
Er schloss die Augen und atmete einige Male tief durch, bevor er weitersprach.
»›Nachdem Du, Verräter, dafür gesorgt hast, dass man mir meinen Lebensinhalt nahm und die katholische Kirche mich verstieß wie einen Aussätzigen, ist meine Frau bei der Geburt unseres Kindes gestorben. Eurem sadistischen Gottwar das jedoch noch immer nicht genug. Nun hat er das Werk vollendet und mir auch noch das Einzige genommen, das mir geblieben war: meinen Sohn. Nachts, im Schlaf, hat ein Handlanger Deines elenden Gottes ihn mit einem Stein erschlagen. Seid Ihr nun zufrieden, Du, Deine Kirche und Euer Gott, der schlimmer ist als alle Teufel, die von Deinesgleichen jemals beschrieben worden sind? Aber ich sage Dir hier und jetzt: Ich werde meinen Sohn rächen, und das allein wird fortan der Inhalt meines Lebens sein. Du, Deine Kirche und Euer sadistischer Gott werdet meine Rache zu spüren bekommen. Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹«
Matthias zog eine Augenbraue hoch. »Und der zweite Brief?«
Wieder atmete der Papst tief ein, und es schien, als würde ihm die Beantwortung dieser Frage ganz besonders viel Mühe bereiten.
»Der kam kurz nach meiner Wahl vor vier Jahren. Er enthielt nur zwei Sätze, wieder mit Schreibmaschine geschrieben.
Papst! Bist Du Deinem allgütigen Gott nun nahe genug? So wirst Du denn als sein Stellvertreter mit ihm zusammen untergehen.
N. G.
Ich wollte, ich könnte Ihnen sagen, was genau er damit gemeint hat. Aber eines weiß ich sicher, und das bereitet mir panische Angst.«
Die Gedanken rasten in Matthias’ Kopf und es fiel ihm schwer, sich auf die Worte des Papstes zu konzentrieren. Zusammenhänge schienen sich herauszubilden und lösten sich wieder auf, bevor sie so klar waren, dass sein Verstandsie fassen konnte. Er sah den Papst fragend an, der nun den Blick senkte und leise sagte:
»Sein Sohn ist am 24. Oktober 1973 ermordet worden. Und in fünf Tagen haben wir den 24. Oktober. Wenn diese furchtbare Mordserie so weitergeht, wird an seinem Todestag die zwölfte Station erreicht sein: Jesus stirbt am Kreuz.«
Matthias rechnete nach.
»Eure Heiligkeit, wie alt genau war Niccolò Gattos Sohn, als er starb?«, fragte er, obwohl er glaubte, die Antwort zu kennen.
»Er muss 24 Jahre alt gewesen sein«, erwiderte der Heilige Vater betrübt.
Matthias schwindelte der Kopf. Die Zusammenhänge lagen klar vor ihm. Er sah den Papst an und konnte in dessen Gesicht die stumme Frage lesen, die er nun beantworten musste, auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte.
»Mindestens zwei der Männer, die für diese Kreuzwegstationen ermordet wurden, waren 24 Jahre alt, Euer Heiligkeit«, erklärte er und bemühte sich dabei, mit fester Stimme zu sprechen. »Und ich fürchte, die anderen werden genauso alt sein, denn die beiden schon identifizierten Opfer sind am gleichen Tag geboren. Am 4. März 1981, an dem es eine große Sternenkonjunktion gab. An . . .«
»Der Stern von Bethlehem«, unterbrach ihn der Papst und schlug entsetzt die Hände vors Gesicht, als ihm die Zusammenhänge klar wurden. »Allmächtiger, steh uns bei!«, flüsterte er mit tonloser Stimme.
»Eure Heiligkeit«, sagte Matthias so behutsam, wie es ihm möglich war, »könnten Sie mir bitte alles erzählen, was Sie über Niccolò Gatto wissen?«
»Ich weiß nicht viel mehr als das, was ich Ihnen bereits geschildert habe«, antwortete der Papst, und seine Händezitterten. »Ein Freund aus Kindertagen hatte noch längere Zeit Kontakt zu ihm. In den ersten Jahren hat er offensichtlich auf einem Bauernhof gearbeitet. Was er tat, weiß auch dieser Mann nicht. Die Woche über war er verschwunden und niemand weiß, wohin. Das ist alles, was ich Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher