Castello Christo
sahen es als eine Warnung Gottes, dass zwei ihrer Kinder so früh sterben mussten, als einen Hinweis darauf, dass ihre noch lebenden Kinder in den Dienst der Kirche treten sollten, um ihre Seelen zu retten. Zu diesem Zeitpunkt war Niccolò sechs, ich war drei und meine jüngste Schwester anderthalb Jahre alt.
Unsere Eltern taten ab diesem Moment alles dafür, uns für ein Leben im Dienste der Kirche vorzubereiten. Sie zwangen uns zu nichts, aber sie verstanden es trotzdem, uns die Gewissheit zu geben, dass Gott uns dazu berufen hatte, ihm zu dienen. Je älter wir wurden, umso selbstverständlicher wurde das Bedürfnis in uns, unser Leben Gott zu weihen. Niccolò, den wir immer nur Nico nannten, trat als Erster in das Priesterseminar in Cittanova ein, zweiJahre später folgte ich. Fast zur gleichen Zeit ging meine Schwester Giulia ins Kloster. Der Wunsch unserer Eltern hatte sich erfüllt.«
Der Papst blickte Matthias kurz an, um gleich darauf wieder gedankenverloren zum Fenster hinauszuschauen.
»Lange Zeit verliefen Niccolòs Weg und meiner ganz ähnlich. Ich tat es ihm in allem gleich, als wäre es meine Bestimmung, immer in seine Fußstapfen zu treten. Sogar die Pfarreien, in denen wir anfangs tätig waren, lagen direkt nebeneinander. So verloren wir während der ganzen Zeit nie den Kontakt zueinander, wir sahen uns regelmäßig, zeitweise sogar täglich.
Bis zu dem Abend – mittlerweile waren wir 22 und 25 Jahre alt –, der alles verändern sollte. Es war im Frühling 1949. Nico war einige Monate zuvor zum Priester geweiht worden, und mich hatte man gerade zum Studium an der Gregorianischen Universität zugelassen. Nach all den Jahren, in denen wir den gleichen Weg gegangen waren, stand uns erstmals eine Trennung bevor.
An jenem Abend kam Nico zu mir. Er sah schlimm aus, und ich weiß noch, wie ich gleich dachte, dass etwas Dramatisches passiert sein musste. Noch bevor ich dazu kam, ihn zu fragen, sagte er mir, dass er etwas Unverzeihliches getan habe. Er hatte ein Mädchen kennengelernt und sich in sie verliebt. Nico beteuerte mir, dass er gegen sein Verlangen angekämpft und sich kasteit hätte, letztendlich aber doch verloren hatte. An diesem Tag hatte sie ihm eröffnet, dass sie von ihm schwanger war.« Der Papst schluckte mehrmals, bevor er weitersprach. »Nico wirkte so hilflos, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt hatte. Ich hatte das Gefühl, als wäre plötzlich ich der Ältere, der ihn beschützen und ihm helfen musste. Er wollte von mir einen Rat, wie er sich nun verhalten solle.«
Wieder sah Papst Alexander IX. Matthias an, so als wollte er sehen, welche Reaktion seine Worte hervorriefen. Der bemühte sich, ruhig zu wirken. Man sah dem Gesicht des Papstes an, dass das, was er nun zu erzählen hatte, sehr schmerzhaft für ihn war.
Sie sitzen sich an dem grob gezimmerten Holztisch gegenüber. Über ihnen eine Hängelampe, deren Licht sich zu den Wänden des kleinen Raumes hin in diffusem Halbdunkel verliert. Nur das monotone Ticken der Wanduhr ist zu hören. In einer Ecke ist mit einem dünnen Vorhang das Bett vom Rest des Zimmers abgetrennt. Eine Kochgelegenheit gibt es nicht, aber das ist auch nicht nötig, denn Massimos Vermieterin, die Witwe Collecci, verpflegt den jungen Geistlichen.
Massimo steht kopfschüttelnd auf und geht zu einem Vitrinenschrank. Die Bodendielen knarren bei jedem seiner Schritte.
»Nico, Nico, was hast du dir nur dabei gedacht!« , sagt Massimo, während er sich bückt und aus dem unteren Teil der Vitrine eine Flasche Landwein hervorholt. Der Korken ist nur leicht angedrückt und fällt herunter, als Massimo sich mit der halb vollen Flasche in der Hand aufrichtet. Er lässt ihn liegen.
»Wie, was habe ich mir dabei gedacht« , erwidert Niccolò Gatto, und seine Stimme klingt verärgert. »Nichts natürlich. Hätte ich meinen Verstand eingeschaltet, wäre es nicht passiert. Aber die Frage ist nicht, was warum geschehen ist, sondern, was ich jetzt tun soll.«
Massimo hat zwei einfache Wassergläser aus der Vitrine geholt und stellt sie nun auf den Tisch, um sie mit dem roten Wein zu füllen. Eines der Gläser schiebt er zu Niccolò hinüber, dann setzt er sich und sieht ihn ernst an.
»Du musst es Bischof Agostinelli beichten, Nico. Das ist die einzige Möglichkeit, deine Seele zu retten.«
Niccolò reißt die Augen auf. »Niemals!« Er beugt den Oberkörper über die Tischplatte. »Massimo! Ich habe das Zölibat gebrochen. Er wird mich
Weitere Kostenlose Bücher