Castello Christo
»Ist
das
im Vatikan herausgekommen? Denkt man dort, es wolle sich jemand an der Kirche rächen? Oder an Gott? Allen Ernstes?«
»Nun, was denken Sie, Commissario?«, fragte Matthias. »Könnte es nicht sein, dass diese Kreuzwegmorde wirklich ein Racheakt sind? Versuchen Sie beiseitezulassen, was
Sie
über Gott und die Kirche denken. Ist es möglich, dass bei jemandem der Hass auf die Kirche oder auf Gott so groß sein kann, dass er dazu fähig wäre?«
Die Unterarme auf den Oberschenkeln, faltete Varotto die Hände und starrte vor sich hin. »Es kann durchaus Ereignisse im Leben geben, die einen gläubigen Menschen dazu bringen, die Existenz Gottes in Frage zu stellen. So wie es mir erging. Der Gott, an den man mir beigebracht hat zu glauben, war ein Gott der Liebe und Güte. Eine Macht, die schützend die Hand über uns hält und so verhindert, dass schlimme Dinge passieren. Wenn ich mir nun aber vorstelle, mein Glaube an diesen Gott wäre so fest verankert, dass ich seine Existenz niemals in Frage stellen könnte, was auch immer geschieht, und dieser Gott würde mir Dinge antun, die so furchtbar sind, dass ich darüber fast den Verstand verliere . . .«, die Stimme versagte ihm fast, »dann kann ich durchaus nachvollziehen, dass man auf diesen Gott einen tiefen Hass entwickelt für das, was er einem angetan hat . . .« Er biss einige Sekunden auf seiner Unterlippe, bevor er fortfuhr. »Um Ihre Frage also zu beantworten: Ich weiß nicht, ob jemand so geistesgestörtsein kann, dass er ernsthaft glaubt, den Sohn Gottes entführt zu haben, aber ich kann mir grundsätzlich schon vorstellen, dass jemand mit dieser Sache zu tun hat, der voller Hass ist und sich für etwas rächen möchte.«
»Heilige Maria!«, rief Alicia aus. »Ihr denkt, wer immer diese Jungen damals entführt hat, bringt sie jetzt alle um, weil er
Jesus Christus
töten möchte!?«
Die beiden Männer schwiegen, sahen sie nur an. Alicia hatte das Ungeheuerliche ausgesprochen.
»Eins verstehe ich allerdings nicht.« Alicia bemühte sich, mit fester Stimme fortzufahren, aber sie klang deutlich zittriger als zuvor. »Wenn diese Verbrecherbande tatsächlich glaubt, dass unter diesen Jungen der . . .« Sie stockte und rieb sich mit beiden Händen mehrmals über das Gesicht, bevor sie weitersprach: »Mein Gott, das ist so ungeheuerlich, dass ich es fast nicht auszusprechen wage ... Wenn sie wirklich glauben, dass am 4. März 1981 der Sohn Gottes wiedergeboren wurde – warum dann ausgerechnet in Italien? Warum nicht im Westjordanland, in Bethlehem? Wäre das nicht viel naheliegender? Wie passt das zu der Akribie, mit der sie alles geplant und durchgeführt haben? Das verstößt gegen alle Logik.«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, erklärte Matthias, »und ich glaube, es ist nicht unlogisch. Rom ist inzwischen das Zentrum des katholischen Christentums. Diese Wahnsinnigen gehen wahrscheinlich davon aus, dass Gott, sollte er seinen Sohn noch einmal auf die Erde schicken, dies in Italien tun wird. Hier sitzt sein Stellvertreter.«
»Ein von Menschen ernannter Stellvertreter für einen Gott, der . . .«, brauste Varotto auf, doch Matthias ließ ihn nicht ausreden.
»Commissario, könnten Sie bitte Ihre abfälligen Bemerkungenüber Gott sein lassen und sich auf unsere Hypothesen zu dem Motiv der Mörder konzentrieren?«
Varotto verzog das Gesicht zu einer Grimasse und nickte stumm.
»Eine Frage habe ich aber noch. Gab es diese seltsame Sternenkonstellation nur dieses eine Mal 1981?«
»Nein, es gab sie schon einige Male zuvor. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube irgendwo gelesen zu haben, dass sie etwa einmal pro Jahrhundert auftritt.«
Alicia runzelte die Stirn. »Und warum soll dann ausgerechnet im Jahr 1981 der ... Sie wissen schon . . .«
»Das könnte damit zusammenhängen, dass viele religiöse Bruderschaften, Geheimbünde und Sekten aufgrund alter Schriften und Weissagungen mit dem Übergang zum dritten Jahrtausend eine gravierende Veränderung unserer Zivilisation einhergehen sehen. Eine solche Gemeinschaft könnte der Meinung sein, dass Gott seinen Sohn nochmals auf die Erde schickt.«
Matthias rechnete mit weiterem Widerspruch des Commissario. Als der sich aber mit der Erklärung zufriedengab, sagte er: »Ich fahre jetzt zum Polizeipräsidium und versuche unauffällig herauszufinden, wie weit Commissario Tissone inzwischen gekommen ist.«
»Sie wollen ihn aushorchen?«, fragte Varotto. »Warum erzählen Sie
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