Cataneo - Der Weg Splendors (German Edition)
bleiben würde.
Splendor hatte bereits die Sonne erreicht, berührte sie jedoch noch nicht. Es würde also noch ein paar Tage dauern, bis sie sich über sie gelegt hatte, um die Welt zu verdunkeln.
Es blieb kaum mehr Zeit und der Draconer und der Hauptmann hatten versprochen, sofort nach Erfüllung ihres Auftrags nach Neckmar zurückzukehren. Ihre Könige würden sie als Heerführer brauchen. Die Anzahl der bereits gesichteten Brut Vortex’ schien bereits gewaltige Ausmaße zu haben. Die Angst, dass Neckmar unter einem Angriff fallen würde, war groß. So schnell sie konnten, machten sich deshalb Morris und Annoth nach ihrer Ankunft in Lordas’ Heim auf den Weg zum Thronsaal der Königin.
Alya ging zum Fenster hinüber. »Ist all das wahr?« Ihre Stimme klang besorgt. Das Licht fiel schwach in den Thronsaal. Es war ein bewölkter, trübvoller Tag, der mit der Ankunft des Draconers und des Hauptmannes keine guten Nachrichten mit sich brachte. Alle Blicke waren auf das Kind Splendors gerichtet. Behutsam drehte sie sich zu der Gruppe um, die gespannt auf ihre Entscheidung wartete. Sie sah in die Augen der Königin, die mit Tränen gefüllt waren, ihr Blick wanderte über Pergo, der nachdenklich zu Boden starrte, hinüber zu den Obscuras, die ihren Ältesten stützten, und hielt dann inne, als sie bemerkte, wie durchdringend der Blick des Hauptmannes war.
»Ich fragte, ob all dies wahr ist?«, wiederholte sie.
Morris nickte. »Das Königreich Carus gehört zu einem großen Teil bereits den Orks und der Brut Vortex’. Es sterben jeden Tag und jede Nacht Männer, Frauen und Kinder. Sie werden aus ihren Betten gerissen, sie werden aus ihrem Haus geschleift, sie werden gefangen genommen, gequält, getötet – all dies und Schlimmeres.«
Morris klang ernst. Der Brief des Königs Zorthan hatte Lordas aus der Fassung gebracht. Sie wusste, dass die Brut des Vortex’ im Westen aufgetaucht war, sie wusste jedoch nicht, dass dort der Krieg bereits begonnen hatte. Sie hatte gehofft, dass der Obscura zur Übertreibung neigte, doch die Worte des Königs unterstrichen das, was der Älteste gesagt hatte. König Zorthan wusste nicht, was er tun sollte. Er wartete und bat um ihre Hilfe. Er hatte ihr geschrieben, dass er nachts kaum wagte, einzuschlafen, aus Angst er könnte brutal aus dem Schlaf gerissen werden. Er fürchtete sich vor dem Geräusch einstürzender Mauern, knisternder Flammen und Schreien, die durch Mark und Bein gingen. Er wollte sein Volk schützen, doch er wusste nicht, wie er dies tun sollte, weil sein Glaube an den Friedenspakt ihm nicht erlaubte, ein Schwert gegen das Böse zu erheben. Zorthan blickte laut dem Brief oft zu Splendor hinauf und betete, sie würde endlich bei der Sonne ankommen, damit er handeln konnte. Er wiederholte in seiner Nachricht immer wieder, dass das Böse bereits in seiner Nähe lauerte, dass sein Land das nächste nach dem von Carus war, das vernichtet werden würde, und dass er ohne die Kinder Splendors und die Krieger des Ostens keine große Hoffnung hatte. Die Worte waren mit zittriger Hand geschrieben und so konnte sie erkennen, welch große Angst er hatte. Den Brief hielt inzwischen Alya in den Händen, immer wieder warf sie einen Blick darauf, dann aus dem Fenster, um letztendlich wieder zu der Gruppe zu schauen. Die meisten hätten sie gern zu einer schnellen Entscheidung gedrängt, doch keiner von ihnen sagte etwas. Sie warteten, um nichts zu riskieren. Keiner wollte ihr das Gefühl geben, ihre Meinung zählte nichts, obwohl dies fast alle insgeheim glaubten. Die Welt dort draußen schien langsam zu zerfallen und niemand von ihnen konnte den Menschen Halt geben. Es war nicht Alyas Zuhause, es war das ihre, und umso wichtiger war ihnen, nun endlich dafür kämpfen zu können. Mittlerweile war ihnen der Stand von Splendors Mond am Himmel nicht mehr wichtig. Es ging nicht mehr um die Schlacht zwischen den göttlichen Kreaturen, es ging inzwischen nur noch um ihren Sieg über das Gesindel Tachals. Sie wollten nicht, dass er ihre Ehrhaftigkeit ausnutzte, um Land einnehmen zu können, das er schon lange begehrte. Die Könige verlangten nach der Möglichkeit, ihr Schwert ergreifen zu dürfen, um dem Bösen Einhalt zu gebieten.
Lasst uns retten, was noch zu retten ist , schrieb König Zorthan.
Dieser Satz ging Alya durch den Kopf, als sie schließlich einen Schritt vortrat. In ihrem Gesicht formte sich ein verständnisvolles Lächeln und sie nickte zustimmend.
Es war soweit.
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