Catch 22
erinnerte er sich aufmerkend, und fuhr eifrig fort: »Das hat Calvin Coolidge gesagt, und Calvin Coolidge war Präsident der Vereinigten Staaten, also muß es wahr sein. Und der Staat hat wirklich die Pflicht, mir alle meine ägyptische Baumwolle abzukaufen, die niemand will, damit ich einen Profit mache, nicht wahr?« Doch ebenso schnell, wie er sich ermuntert hatte, verfinsterte Milo sich wieder, und seine freudige Erregung verwandelte sich in traurige Besorgtheit. »Wie kann ich den Staat dazu bringen, meine Baumwolle zu kaufen?«
»Bestich ihn«, sagte Yossarián.
»Bestechen!« Milo war entsetzt. Er verlor fast das Gleichgewicht und hätte sich beinahe wieder das Genick gebrochen. »Schande über dich!« rief er streng und aus seinen Nüstern und den sittsam zusammengepreßten Lippen spie er tugendhaftes Feuer aufwärts und abwärts in seinen rostroten Schnurrbart. »Bestechung verstößt gegen das Gesetz, das weißt du genau. Doch ist es nicht ungesetzlich, einen Profit zu machen. Also verstoße ich auch nicht gegen das Gesetz, wenn ich jemanden besteche, damit er mir zu einem ordentlichen Profit verhilft, wie? Natürlich nicht!« Doch wieder verzagte er und wurde von kläglichen Zweifeln gepackt. »Woher soll ich aber wissen, wen ich bestechen muß?«
»Ach, darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen«, tröstete Yossarián hämisch kichernd, gerade als die Motoren der Jeeps und der Ambulanz die träge Stille aufbrachen und die hinteren Fahrzeuge sich rückwärts in Bewegung setzten. »Wenn die Bestechungssumme groß genug ist, lockt sie schon die richtigen Leute an. Du mußt nur dafür sorgen, daß alles ganz offen geschieht. Laß alle Leute genau wissen, was du möchtest, und wieviel du dafür zu zahlen bereit bist. Wenn du dir aber Schuldbewußtsein anmerken läßt oder dich genierst, dann kannst du in Schwulitäten geraten.«
»Ach, wenn du doch nur mitmachen wolltest«, sagte Milo. »Ich werde mich unter bestechlichen Menschen nicht sicher fühlen.
Solche Leute sind ja geradezu Verbrecher.«
»Es wird schon gehen«, versicherte Yossarián zuversichtlich.
»Falls du Schwierigkeiten hast, brauchst du nur zu sagen, daß das Wohl des Vaterlandes das Vorhandensein einer heimischen, in ägyptischer Baumwolle spekulierenden Industrie erfordert.«
»Das ist ja auch so«, sagte Milo ernst. »Eine starke, in ägyptischer Baumwolle spekulierende Industrie bedeutet ein starkes Amerika.«
»Genauso ist es. Und falls das nicht zieht, kannst du immer auf die große Zahl von Familien verweisen, die für ihren Lebensunterhalt auf ägyptische Baumwolle angewiesen sind.«
»Sehr viele amerikanische Familien sind für ihren Lebensunterhalt auf ägyptische Baumwolle angewiesen.«
»Siehst du«, sagte Yossarián, »du verstehst das viel besser als ich. Wenn du das sagst, klingt es schon fast wie die Wahrheit.«
»Es ist die Wahrheit«, rief Milo, und in seiner Stimme machte sich bereits wieder eine Spur des alten Hochmuts bemerklich.
»Gerade das meine ich. Du sagst das mit genau dem richtigen Maß von Überzeugung.«
»Du willst also nicht mitmachen?«
Yossarián schüttelte den Kopf.
Milo brannte darauf, anzufangen. Er stopfte den Rest der mit Schokolade überzogenen Baumwolle in sein Hemd und tastete sich behutsam bis zum Stamm des Baumes. Er warf die Arme in einer großherzigen, ungeschickten Umarmung um den Baum und begann, daran herunterzurutschen. Die Kanten seiner lederbesohlten Schuhe glitten immer wieder an der Rinde ab, und es sah mehrmals so aus, als werde er fallen und sich verletzen. Halb unten angelangt, besann er sich anders und kletterte wieder hinauf. Rindenstückchen hingen in seinem Schnurrbart, und sein verzerrtes Gesicht war rot vor Anstrengung.
»Du solltest lieber deine Uniform anziehen und nicht so nackt umherspazieren«, vertraute er Yossarián gedankenvoll an, ehe er wieder hinunterkletterte und sich eilig davonmachte. »Dein Beispiel könnte Schule machen, und dann werde ich meine verdammte Baumwolle überhaupt nie los.«
Der Kaplan
Es war schon einige Zeit her, seit der Kaplan begonnen hatte, über den Lauf der Welt nachzudenken. Gab es einen Gott? Wie konnte man sich davon überzeugen? Auch unter den günstigsten Bedingungen wäre es schwer genug gewesen, in der amerikanischen Armee als anabaptistischer Feldprediger zu dienen, doch ohne Dogma war es fast unerträglich.
Menschen, die laut sprachen, ängstigten ihn. Tapfere, aggressive Tatmenschen, wie Colonel
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