Catch 22
der Tatsache, daß sein Mädchen eine Prostituierte war, und der Kaplan hatte seine diesbezüglichen Informationen hauptsächlich von Captain Black, der nie an ihrem Tisch vorbeilatschte, ohne dem Kaplan auffällig zuzublinzeln und Nately mit einer geschmacklosen, kränkenden Anspielung auf sein Mädchen zu bedenken. Der Kaplan schätzte Captain Black nicht und fand es schwierig, ihm nichts Böses zu wünschen.
Niemand, nicht einmal Nately, schien wirklich zu begreifen, daß er, Kaplan Albert Taylor Tappman, nicht bloß ein Kaplan, sondern auch ein Mensch war, daß er wirklich eine reizende, feurige, hübsche Frau besitzen könnte, die er fast bis zum Wahnsinn liebte, dazu drei kleine blauäugige Kinder mit fremden, schon vergessenen Gesichtern, die, einmal herangewachsen, in ihm eine Art Abnormität sehen und ihm womöglich nie die Peinlichkeiten vergeben würden, die sie vielleicht eines Tages seines Berufes wegen zu erdulden haben mochten. Warum verstand denn niemand, daß er keine Abnormität war, sondern ein normal empfindender, einsamer Erwachsener, der sich bemühte, ein normales, einsames, erwachsenes Leben zu führen? Blutete er denn nicht, wenn man ihn stach? Und lachte er nicht, wenn man ihn kitzelte? Es schien ihnen nie der Gedanke zu kommen, daß er geradeso wie sie Augen und Hände, Sinne und Neigungen hatte, daß die Waffen, die sie verwundeten, auch ihn verwundeten, daß der gleiche Wind, der sie kühlte, auch ihn kühlte, und daß er die gleiche Speise zu sich nahm wie sie, wenn auch, wie er zugeben mußte, jede Mahlzeit in einer anderen Messe. Der einzige, der begriffen zu haben schien, daß auch der Kaplan Gefühle hatte, war Korporal Whitcomb, der es gerade fertig gebracht hatte, sie alle zu verletzen, indem er über den Kopf des Kaplans hinweg seinen Vorschlag betreffend die Absendung vorgedruckter Beileidsbriefe an die nächsten Angehörigen der Gefallenen und Verwundeten unmittelbar Colonel Cathcart unterbreitet hatte.
Auf dieser Welt war ihm seine Frau die einzige unverrückbare Gewißheit, und das wäre auch ausreichend gewesen, wenn man ihm nur erlaubt hätte, sein Leben mit ihr und den Kindern zu verbringen. Die Frau des Kaplans war eine zurückhaltende, kleine, liebenswerte Frau Anfang dreißig, dunkelhaarig und sehr reizvoll, mit schmaler Taille und ruhigen, klugen Augen und kleinen, glänzenden, spitzen Zähnen in einem Gesicht, das lebendig und petite war; wie seine Kinder aussahen, vergaß er immer wieder, und wenn er ihre Photographien betrachtete, kam es ihm vor, als sähe er sie zum ersten Mal. Der Kaplan liebte seine Frau und seine Kinder mit einer solchen Inbrunst, daß er sich oft am liebsten zu Boden geworfen und wie ein ausgesetzter Krüppel geweint hätte. Er wurde unablässig von Zwangsvorstellungen gequält, in denen unheilvolle Vorzeichen auf schauerliche Ereignisse hinwiesen, wie Unfälle, Verstümmelungen und schwere, tödliche Leiden wie Krebs und Leukämie; er sah seinen kleinen Sohn zwei oder drei Mal pro Woche sterben, weil er seiner Frau nie gezeigt hatte, wie man eine blutende Arterie abbindet; er sah weinend und versteinert zu, wie seine gesamte Familie, einer um den anderen, sich an einer Steckdose einen tödlichen Schlag holte, weil er seiner Frau nie gesagt hatte, daß der menschliche Körper Elektrizität leitet; fast nächtlich verkohlten sie allesamt in dem einstöckigen Holzhaus, das der explodierende Boiler in Brand gesetzt hatte. Er sah in gräßlichsten, herzlosesten, übelkeiterregenden Einzelheiten, wie der wohlgeformte, zerbrechliche Körper seiner Frau von einem schwachsinnigen, betrunkenen Autofahrer gegen die Mauer der Markthalle gequetscht wurde, sah seine verschreckte fünfjährige Tochter diesen Schauplatz an der Hand eines gütigen ältlichen Herrn mit schneeweißem Haar verlassen, der sie zu wiederholten Malen vergewaltigte und sie tötete, nachdem er sie zu einem abgelegenen Sandbruch gefahren hatte, während die beiden jüngeren Kinder unterdessen zu Hause verhungerten, weil seine Schwiegermutter, die auf sie achtgab, nach der telefonischen Benachrichtigung vom Unfalltod ihrer Tochter an einem Herzanfall verschieden war. Die Frau des Kaplans war eine liebe, sanftmütige, rücksichtsvolle Frau, und er sehnte sich danach, die warme Haut ihres schlanken Armes zu berühren, über ihr glattes schwarzes Haar zu streichen, ihre besänftigende, tröstende Stimme zu hören. Sie war eine viel stärkere Persönlichkeit als er. Einmal, manchmal auch
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