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Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
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berichten ihm noch die Kühnheit fehlte. Die furchtgebietenden Implikationen der dem Kaplan zuteil gewordenen Offenbarung lagen auf der Hand: entweder handelte es sich um eine auf göttlicher Eingebung beruhende Erkenntnis oder um eine Halluzination; er war entweder begnadet oder im Begriff, den Verstand zu verlieren. Beide Aussichten erfüllten ihn gleicherweise mit Angst und Niedergeschlagenheit. Es ging hier weder um deja vu, noch um presque vu oder jamais vu.
    Selbstverständlich konnte es sein, daß es noch andere vus gab, von denen er nichts gehört hatte; und daß eines dieser anderen vus folgerichtig das verblüffende Phänomen erklären konnte, dessen Zeuge und Teilnehmer er gewesen war; es war möglich, daß nichts von dem geschehen war, wovon er glaubte, es sei geschehen; daß er es mit einer Täuschung des Gedächtnisses und nicht mit einer Täuschung der Wahrnehmung zu tun hatte; daß er in Wirklichkeit nie geglaubt hatte, er habe gesehen, was er jetzt glaubte, einstmals zu sehen geglaubt zu haben; daß sein augenblicklicher Eindruck, er habe das einmal angenommen, nur die Illusion einer Illusion war, und daß er sich erst jetzt einbildete, er habe sich je eingebildet, einen nackten Mann im Baum hinter dem Friedhof gesehen zu haben.
    Dem Kaplan war es klar geworden, daß er sich für seinen Beruf nicht besonders gut eignete, und er fragte sich oft, ob er nicht in einem anderen Teil der Armee glücklicher werden könne, zum Beispiel als Gemeiner in der Infanterie oder Artillerie, ja vielleicht sogar als Fallschirmjäger? Er besaß keine wirklichen Freunde. Ehe er Yossarián begegnet war, gab es niemanden im Geschwader, in dessen Gesellschaft er sich wohl fühlte, und auch in Yossariáns Gegenwart konnte er sich nie richtig wohlfühlen, denn dessen wilde, ungebärdige Ausbrüche hielten ihn ständig in Atem und in einem recht zwiespältigen Zustand genüßlicher Unruhe. Wenn der Kaplan mit Yossarián und Dunbar, ja nur mit Nately und McWatt zusammen im Kasino saß, fühlte er sich geborgen. Wenn er bei ihnen saß, brauchte er nirgendwoanders zu sitzen; die brennende Frage, wohin er sich setzen solle, war dann gelöst, und er war geschützt vor der unerwünschten Gesellschaft all jener Offizierskollegen, die ihn bei seiner Ankunft stets mit überschäumender Freundlichkeit begrüßten und dann unbehaglich darauf warteten, daß er wieder gehe. Er schuf so vielen Leuten Unbehagen. Alle waren immer sehr nett zu ihm, aber keiner war wirklich von Herzen freundlich; alle redeten ihn an, aber keiner hatte je etwas zu sagen. Yossarián und Dunbar waren ganz unverkrampft, und der Kaplan fühlte sich in ihrer Gegenwart kaum je unbehaglich. Sie verteidigten ihn sogar an jenem Abend, als Colonel Cathcart versuchte, ihn wieder aus dem Kasino hinauszuwerfen: Yossarián erhob sich kriegerisch, um zu intervenieren, während Nately »Yossarián!« schrie, um ihn zurückzuhalten. Colonel Cathcart wurde beim Ertönen des Namens Yossarián bleich wie ein Laken und trat zu jedermanns Erstaunen einen ungeordneten Rückzug an, bis er in General Dreedle hineinstolperte, der ihn ärgerlich aus dem Weg räumte und ihm befahl, ins Kasino zurückzukehren und dem Kaplan zu befehlen, von jetzt an regelmäßig des Abends im Offizierskasino zu erscheinen.
    Sich über seinen Status im Offizierskasino klar zu werden, fiel dem Kaplan fast ebenso schwer wie sich daran zu erinnern, in welcher der zehn Messen des Geschwaders er die nächste Mahlzeit einzunehmen hatte. Er hätte sich dankbar mit seinem endgültigen Hinauswurf aus dem Kasino abgefunden, wäre nicht das Vergnügen gewesen, das er jetzt dort in Gesellschaft seiner neuen Kumpane fand. Wenn der Kaplan abends nicht ins Offizierskasino ging, konnte er überhaupt nirgends hingehen. Er pflegte den Abend schüchtern und zurückhaltend lächelnd am Tisch mit Yossarián und Dunbar zu verbringen, kaum je sprechend, wenn nicht angesprochen, ein Glas dickflüssigen, süßen Weins fast unberührt vor sich, und ungeschickt mit der unvertrauten, kleinen Maiskolbenpfeife spielend, die er befangen zur Schau stellte, gelegentlich mit Tabak füllte und rauchte. Er hörte gerne Nately zu, dessen Empfindsamkeit und bittersüße Klagen seine eigene romantische Verlassenheit widerspiegelten und immer von neuem die Sehnsucht nach Frau und Kindern in ihm aufsteigen ließen. Der Kaplan pflegte, von Natelys Aufrichtigkeit und Unreife gerührt, ermutigend oder beifällig zu nicken. Nately prahlte nicht mit

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