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Catch 22

Catch 22

Titel: Catch 22 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Heller
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Cathcart, gaben ihm das Gefühl, hilflos und allein zu sein. Wohin er auch versetzt wurde, überall war er ein Fremdling. Mannschaften und Offiziere verhielten sich in seiner Gegenwart nicht so, wie in Gegenwart anderer Mannschaften und Offiziere, und selbst andere Feldprediger waren ihm gegenüber nicht so freundlich wie zueinander. In einer Welt, in der Erfolg die einzige Tugend war, hatte er sich damit abgefunden, ein Versager zu sein. Es war ihm schmerzlich bewußt, daß er des rechten kirchlichen Schwunges und des savoir-faire ermangelte, das es den Kollegen anderer Glaubensbekenntnisse ermöglichte, Karriere zu machen. Er war einfach nicht dazu geschaffen, zu glänzen. Er empfand sich als häßlich, und wünschte sich täglich, zu Hause bei seiner Frau zu sein.
    In Wirklichkeit sah der Kaplan gut aus, denn er hatte ein angenehm wirkendes, empfindsames Gesicht, bleich und spröde wie Sandstein. Und er war allen Dingen gegenüber aufgeschlossen.
    Vielleicht war er wirklich Washington Irving, und vielleicht hatte er wirklich alle jene Briefe, von denen er nichts wußte, mit Washington Irving unterzeichnet? Er wußte, daß medizinische Fachzeitschriften von Fällen von Gedächtnisschwund berichteten. Er wußte, man konnte nichts wissen, nicht einmal, daß man nichts wissen konnte. Er erinnerte sich deutlich eines Gefühls — oder er hatte jedenfalls das Gefühl, sich deutlich zu erinnern — Yossarián schon einmal begegnet zu sein, ehe er Yossarián zum ersten Mal im Lazarett begegnet war. Er erinnerte sich, daß er das gleiche beunruhigende Gefühl wiederum empfunden hatte, als Yossarián etwa zwei Wochen später bei ihm im Zelt erschien und ihn bat, nicht mehr fliegen zu müssen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kaplan Yossarián nun wirklich vorher schon einmal begegnet, nämlich in jener merkwürdigen Krankenabteilung, wo jeder Patient wie ein Drückeberger wirkte, ausgenommen der von Kopf bis Fuß in weißen Gips gehüllte Patient, den man eines Tages tot mit dem Thermometer im Munde gefunden hatte. Doch der Eindruck des Kaplans von einer früheren Begegnung bezog sich auf einen viel bedeutenderen, außerirdischen Anlaß, auf eine inhaltsschwere Begegnung mit Yossarián in einer fernen, versunkenen, und vielleicht ganz spirituellen Epoche, in der er das gleiche, ihn im voraus vernichtende Geständnis abgelegt hatte, daß es nichts, aber auch gar nichts gebe, womit er Yossarián helfen könne.
    Solche Zweifel nagten unersättlich an dem mageren, leidenden Kaplan. Gab es einen alleinseligmachenden Glauben, ein Leben nach dem Tode? Wie viele Engel konnten denn nun eigentlich auf der Spitze einer Nadel tanzen, und womit hatte Gott sich während der unzähligen Äonen vor Erschaffung der Welt beschäftigt? Warum hatte man ein warnendes Mal auf Kains Stirn drücken müssen, wenn es doch weiter niemanden gab, den man vor ihm hätte warnen können? Hatten Adam und Eva Töchter gezeugt? Dies waren die bedeutenden, verwickelten ontologischen Fragen, die ihn quälten. Doch empfand er sie nie als so dringlich wie die Frage nach menschlicher Güte und nach menschlichem Anstand. Schwitzend wand er sich in dieser epistemologischen Zwickmühle des Skeptikers, unfähig, Lösungen für Probleme anzunehmen, die er auch wieder nicht als unlösbar beiseite schieben wollte. Nie war er frei von Trübsal, und nie war er ohne Hoffnung.
    »Sind Sie jemals«, erkundigte er sich zögernd bei Yossarián, während dieser mit beiden Händen die lauwarme Flasche Coca-Cola hielt, mit welcher der Kaplan ihn endlich doch hatte trösten können, »in einer Situation gewesen, von der Sie glaubten, sie schon früher durchlebt zu haben, obwohl Sie genau wußten, daß Sie sich zum ersten Mal darin befanden?«
    Yossarián nickte knapp, und der Kaplan atmete hastig und erwartungsvoll, während er sich darauf vorbereitete, seine Willenskraft mit der von Yossarián zu einer unerhörten Anstrengung zu vereinigen, um endlich den bauschigen, schwarzen Vorhang wegzureißen, der die ewigen Geheimnisse des Daseins verbarg. »Haben Sie dieses Gefühl auch jetzt?«
    Yossarián schüttelte den Kopf und setzte dem Kaplan auseinander, daß dejä vu nichts anderes sei als ein flüchtiges Aussetzen des Zusammenspiels zweier sensorischer Nervenzentren, die gemeinhin simultan wirken. Der Kaplan hörte ihm kaum zu.
    Er war enttäuscht, aber keineswegs geneigt, Yossarián zu glauben, denn ihm war ein Zeichen geworden, eine geheimnisvolle, rätselhafte Vision, von der zu

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