Cathérine und die Zeit der Liebe
auf. Die Berührung der rauhen Handflächen dieser Männer belebte Cathérine ein wenig, desgleichen der Gedanke, Abu al-Khayr wiederzusehen. Der kleine maurische Arzt kannte das Geheimnis, wie man mit Zuspruch Trost und neuen Mut einflößt. Viele Male hatten seine fremden philosophischen Lebensregeln sie aus tiefem Kummer, ja sogar aus Verzweiflung, an der sie beinahe gestorben wäre, gerissen!
Plötzlich hatte sie Eile, bei ihm zu sein, sah nichts mehr von der Stadt, die sie noch vor wenigen Augenblicken entzückt hatte. Indessen zogen ihre Gefährten sie in eine recht seltsame, mit Schilfrohrgeflecht überdachte Straße, durch das sich blitzende Sonnenstrahlen stahlen; auf beiden Seiten war sie von kleinen, türlosen Buden eingesäumt, in denen Kupferschmiede arbeiteten. Hammerschläge erfüllten die Gasse mit lustigem Lärm, und im Schatten der Verkaufsstände glänzten sanft die Becken, die Wasserkannen, die Messing- oder Kupferkessel und machten aus jeder kleinen Werkstatt eine Art Schatzhöhle. »Der Markt der Kupferschmiede!« erklärte Josse, aber Cathérine sah und hörte nichts. Unaufhörlich mußte sie an das herrische elfenbeinerne Profil, an die langen dunklen, zwischen dichten Wimpern leuchtenden Augen, an den auf den goldverbrämten Kissen ausgestreckten graziösen Körper denken.
»Sie ist zu schön!« sagte sie sich immer wieder. »Sie ist zu schön!« Diesen kleinen grausamen Satz, der sie folterte, wiederholte sie wie ein lästiges Leitmotiv. Sie murmelte ihn immer noch, als am Rande eines kleinen Sturzbachs, dessen rauschende Wasser hinter seinen Mauern hervorsprudelten, das Haus des Arztes Abu unter den grünen Kronen der Palmen, die aus seiner Mitte herauszuwachsen schienen, vor ihr auftauchte. »Wir sind da!« sagte Gauthier. »Hier ist unser Reiseziel.«
Doch Cathérine schüttelte den Kopf, als sie auf der anderen Seite des Bachs das Felsengebirge sah, auf dem stolz, hoch über ihnen, der rote Palast thronte. Das Ziel stand dort oben … und sie hatte weder Kraft noch Mut mehr, es zu erstürmen.
Als sich jedoch die hübsche Pforte mit ihren verzierten, nägelbeschlagenen Flügeln vor ihr öffnete, war die Zeit plötzlich aufgehoben. Cathérine war auf einmal zehn Jahre jünger, denn sie erkannte den großen, weißgekleideten und beturbanten Schwarzen wieder, der auf der Schwelle stand. Es war einer der beiden Stummen Abu al-Khayrs!
Der Sklave runzelte die Stirn, betrachtete die drei Bettler mit mißbilligendem Blick und wollte die Tür wieder schließen, aber Gauthiers Fuß, schnell dazwischengeschoben, hinderte ihn daran, während Josse ihn anherrschte:
»Geh und sage deinem Herrn, daß einer seiner ältesten Freunde ihn zu sprechen wünsche. Ein Freund aus dem Land der Christen …«
»Er kann nicht sprechen«, unterbrach Cathérine. »Der Mann ist stumm!«
Sie hatte französisch gesprochen, und der Schwarze sah sie mit Erstaunen und Neugier an. In den großen kugelrunden Augen sah sie etwas aufblitzen, und flink ließ sie ihren schwarzen Schleier sinken.
»Sieh!« sagte sie, auf arabisch diesmal. »Erinnerst du dich an mich?« Als Antwort ließ der Sklave sich mit einem rauhen Laut auf die Knie fallen, ergriff den Saum des zerlumpten Kleides und drückte ihn an die Lippen. Dann sprang er auf und eilte in den Innengarten, den man hinter einer Art viereckiger, mit großen Ziegelsteinfliesen ausgelegten Halle sehen konnte, die sich zwischen schlanken Säulen auf einen mit Blumenbeeten und drei fabelhaften Palmen bepflanzten Hof öffnete. In einem großen Springbrunnenbecken aus durchsichtigem Alabaster floß sachte klares Wasser und erfrischte den ganzen Wohnsitz.
Pflanzen, besonders Rosen, die in Hülle und Fülle blühten, und blütenübersäte, berauschend duftende Orangenbäume bildeten den größten Teil der Ausstattung dieses Hauses. Ein wahrhaft schönes Haus, in dem sich aber aller Luxus in die reine Linie der Säulen, in die Transparenz des sich wie feine Klöppelspitzen um die Galerie des ersten Stocks rankenden Alabasters und in die Frische des im Garten murmelnden Wassers flüchtete. Abu al-Khayr liebte die Einfachheit des täglichen Lebens, ohne jedoch auf den Komfort zu verzichten …
Auf den Fliesen des Gartens hörte man das Schlürfen von Lederpantoffeln, und plötzlich stand Abu al-Khayr da, derart dem Bild ähnelnd, das Cathérine in Erinnerung hatte, daß die junge Frau einen verblüfften Seufzer ausstieß. Das Gesicht des kleinen Arztes, von seinem
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