Cathérine und die Zeit der Liebe
unsrige nicht einmal vorstellen kann. Das ist zweifellos der Grund«, fügte er mit plötzlicher Trauer hinzu, »weshalb die Kastilier sehnlichst wünschen, uns zu vertreiben, wie sie uns bereits aus Valencia, aus dem heiligen Córdoba und anderen Landen dieser Halbinsel, die wir reich und blühend gemacht hatten, vertrieben haben. Sie verstehen nicht, daß unsere Reichtümer auch aus dem Orient und aus Afrika kommen, deren Schiffe ungehindert an unseren Küsten landen können … was nicht mehr der Fall wäre, wenn das Königreich Granada eines Tages fiele!«
Während er sprach, beobachtete er Cathérine aus den Augenwinkeln. Trotz der langen Reise, die sie hinter sich hatte, rührte die junge Frau kaum etwas von den Speisen an. Sie hatte an einer Wassermelonenscheibe geknabbert, einige Mandeln, einige Pistazien gegessen, und jetzt kostete sie zerstreut mit einem Goldlöffelchen einen Rosensorbett, den einer der Stummen ihr vorgesetzt hatte. Den Blick im üppigen Grün des Gartens verloren, hörte sie der Unterhaltung ihrer Gefährten kaum zu. Sie schien weit von diesem schönen, angenehmen Raum mit seiner kunstvoll gearbeiteten Stuckdecke zu sein, war im Geist in dem so nahen und so gut verteidigten Festungspalast, hinter dessen rosafarbenen Mauern das Herz Arnauds für eine andere schlug. Abu al-Khayr sah, daß sie den Tränen nahe war. Er winkte einen seiner Sklaven heran und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Der Schwarze machte ein Zeichen, daß er verstanden hatte, und ging schweigend hinaus. Einige Augenblicke später kreischte eine gellende Stimme von der Schwelle:
»Rrrrrruhm … dem Herzog! Rrrrrruhm dem Herzog!«
Aus ihrer schmerzlichen Träumerei gerissen, fuhr Cathérine wie von der Tarantel gestochen auf. Sie hob bestürzt die Augen zu dem Schwarzen, der breit grinsend eine silberne Vogelstange vor sie hinstellte, auf der ein riesiger, herrlicher Papagei hockte, dessen lange blaue Federn mit Purpur durchzogen waren.
»Gédéon!« rief sie verblüfft. »Aber das ist doch nicht möglich?!«
»Warum nicht? Hast du ihn mir nicht zum Geschenk gemacht, als ich Dijon verließ? Er war eine Erinnerung an dich und ein wertvoller Freund. Wie du siehst, habe ich ihn gut behandelt.« Mit kindlicher Freude liebkoste Cathérine das Gefieder des Vogels, der sich wie eine Turteltaube gurrend auf seiner Stange drehte und sie mit seinem großen, runden Auge ansah. Von neuem öffnete er seinen großen roten Schnabel und krächzte diesmal:
»Allah il Allah, Mohammed rrrrrassul Allah!«
»Er hat Fortschritte gemacht!« sagte Cathérine lachend. »Er ist schöner als je!« Sie neigte wie einst im Laden ihres Onkels Mathieu das Gesicht dem Vogel entgegen, der ganz sanft mit dem Schnabel auf ihre Lippen einpickte.
»Welche Erinnerungen er in mir wachruft!« murmelte sie, schon wieder von ihrer Melancholie befallen. Gédéon war tatsächlich das erste Geschenk Philippes von Burgund gewesen, als er sich in sie verliebt hatte. Er war ihr treuer Gefährte während eines ganzen Lebensabschnitts gewesen, beinahe seit dem Augenblick, als sie, den Großherzog des Abendlandes umgarnend, Arnaud de Montsalvy sich für immer ihres Herzens hatte bemächtigen lassen. Eine Welt von Gesichtern und Gestalten stieg hinter dem prächtigen Gefieder des Papageis auf. Aber Abu al-Khayr erlaubte nicht, daß sie in ihre Traurigkeit zurückfiel.
»Ich habe ihn dir nicht bringen lassen, um deine Melancholie wiederzuerwecken«, sagte er gütig, »sondern um dir zu verstehen zu geben, daß die Zeit und die Menschen sich nicht so ändern, wie du glaubst. Es kann geschehen, daß die Zeit wiederkehrt.«
»Die des Herzogs von Burgund ist völlig tot!«
»Auf den habe ich jetzt nicht angespielt, sondern auf die wunderbaren Stunden, die die Liebe dir geschenkt hat.«
»Sie hat mir so wenige geschenkt!«
»Immerhin genug, daß die Erinnerung daran dein Leben erfüllt … und die an deinen Gatten nicht so leicht erlischt.«
»Woher wißt Ihr das?«
»Wer hätte mir besser sagen können, was euer Leben gewesen ist … wenn nicht er selbst?«
Sofort blitzten Catherines Augen, und Röte stieg ihr in die Wangen.
»Habt … habt Ihr ihn gesehen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Abu lächelnd. »Vergißt du denn, daß wir einst sehr befreundet waren? Er hat sich an mich erinnert, auch daran, daß ich in dieser Stadt wohnte. Kaum in der Alhambra angekommen, hat er nach mir geschickt.«
»Und Ihr habt zu ihm gelangen können?«
»Ich bin
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