Cathérine und die Zeit der Liebe
absurden weißseidenen Bart umrahmt, war ebenso glatt und makellos wie eh und je, und er war genauso gekleidet wie an dem Tag, an dem sie sich zum erstenmal begegnet waren: Es war dasselbe Gewand aus dicker blauer Seide, derselbe unförmige feuerrote Turban, nach persischer Sitte gewickelt, es waren dieselben Pantoffeln aus purpurrotem Maroquin, zu blauseidenen Kniestrümpfen getragen. Er war kein Jahr, keinen Tag älter geworden! Seine schwarzen Augen blitzten immer noch ironisch, und sein Lächeln war der jungen Frau so vertraut, daß ihr beinahe die Tränen kamen, weil sie, als sie ihn nun wiedersah, das verrückte Gefühl überkam, heimzukehren.
Abu al-Khayr, der den höflichen Gruß Josses und Gauthiers übersah, stellte sich vor Cathérine auf, musterte sie von Kopf bis Fuß und erklärte einfach:
»Ich habe dich erwartet! Aber du kommst sehr spät!«
»Ich?«
»Ja, du! Du kannst dich nicht ändern, Frau einer einzigen Liebe! Und du ziehst es immer noch vor, wie der Nachtfalter im Feuer der Kerze zu sterben, statt in der Dunkelheit zu leben, nicht wahr? Die Hälfte deines Herzens ist hier. Wer kann mit nur einer Herzhälfte leben?«
Jähe Röte stieg Cathérine in die Wangen. Abu hatte seine außerordentliche Fähigkeit nicht verloren, in der geheimsten Kammer ihres Herzens zu lesen. Was hatte es übrigens für einen Sinn, die Höflichkeitsformen zu wahren?
Sie ging sofort in medias res.
»Habt Ihr ihn gesehen? Wißt Ihr, wo er ist? Was tut er? Wie lebt er? Ist er …«
»Langsam, langsam … beruhige dich!« Die kleinen, zarten Hände des Arztes umschlossen die vor Erregung zitternden der jungen Frau und hielten sie fest. »Frau ohne Geduld«, sagte er sanft, »warum diese Hast?«
»Weil ich einfach keine Geduld mehr habe … Ich kann nicht mehr, Freund Abu! Ich bin müde, verzweifelt!« Fast hätte sie in einem Anfall von Nervenschwäche geweint.
»Nein, du bist nicht verzweifelt. Sonst wärst du gar nicht hier! Ich weiß es. Der Dichter hat geschrieben: ›Wann, allmächtiger Gott, wird sich mein inniger Wunsch erfüllen: neben seinem zerzausten Haar Ruhe zu finden?‹ Und du, du redest wie der Dichter, das ist ganz natürlich!«
»Nein, nicht mehr. Jetzt fühle ich mich plötzlich alt …«
Das kindliche Lachen Abu al-Khayrs schallte so klar, so jung, daß Cathérine sich plötzlich ihrer Niedergeschlagenheit schämte.
»Wer soll dir das glauben? Offensichtlich bist du müde, du schleppst den Staub der großen Landstraßen mit dir … und so vieles hat deine Seele belastet, nicht wahr? Du kommst dir schmutzig vor, schmierig bis zum Herzen. Aber das vergeht … Selbst unter deinen Bettlerlumpen bist du immer noch schön. Komm, du brauchst Ruhe, Pflege und Nahrung. Später unterhalten wir uns ausführlich. Nicht vorher …«
»Die Frau, die ich gesehen habe … sie ist so schön!«
»Wir wollen nicht darüber sprechen, solange du dich nicht gestärkt hast. Dieses Haus gehört von nun an dir, und Allah allein weiß, wie glücklich ich bin, dich hier aufzunehmen, meine Schwester! Komm … folge mir! Aber da fällt mir ein – wer sind diese Männer? Deine Diener?«
»Mehr als das, Freunde.«
»Dann sind sie auch die meinen! Kommt alle!«
Folgsam ließ Cathérine sich zu einer schmalen Steintreppe ziehen, die geradewegs an einer Mauer entlang zur Galerie des ersten Stockes führte. Gauthier und Josse, noch unter dem Eindruck der Überraschung stehend, den der kleine Arzt mit seinem fremden Aussehen und seiner blumigen Sprache auf sie gemacht hatte, folgten ihr auf dem Fuß. Diesmal verzichtete Josse darauf, den Blinden zu spielen, und trottete munter hinterher.
»Bruder«, flüsterte er Gauthier zu, »ich glaube, Dame Cathérine hat schon halb gewonnen. Dieser kleine, brave Mann scheint zu wissen, was Freundschaft ist.«
»Du wirst recht haben. Aber was das Gewinnen betrifft, ist sie nicht so sicher … du kennst Messire Arnaud nicht. Er besitzt die Kühnheit des Löwen und die Dickköpfigkeit des Maultiers, den Mut des Adlers … aber auch seine Mordlust. Er gehört zu den Männern, die sich lieber das Herz herausreißen, als nachzugeben, wenn sie sich beleidigt fühlen.«
»Liebt er seine Gattin nicht?«
»Er betete sie an. Nie habe ich ein leidenschaftlicher verliebtes Paar gesehen. Aber er hat geglaubt, sie habe sich einem anderen hingegeben, und er ist geflohen. Wie soll ich wissen, was er zu dieser Stunde denkt?«
Josse antwortete nicht. Seit er Cathérine kannte, wollte
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