Cathérine und die Zeit der Liebe
die Sklavinnen gegangen waren und die beiden Frauen in sanftem Halbschatten zurückgelassen hatten, aßen sie ein paar Hammelklöße und Honigkuchen und machten sich dann an die Ausführung ihres Plans. Marie schlüpfte aus ihren Kleidern und reichte sie Cathérine, die ihr ihre Gewänder gab. Sie hatten ungefähr die gleiche Figur, doch Cathérine war ein wenig kleiner. Sie mußte den Gürtel der Hose aus nachtblauem Musselin, die Marie getragen hatte, um die Taille enger schnüren. Dann zerrissen die beiden Frauen die langen Schleier und machten daraus Fesseln, mit denen Cathérine ihre Freundin festband, nachdem diese sich in ihr Bett gelegt hatte.
»Vergiß nicht, mich zu knebeln«, betonte Marie. »Sonst sieht es nicht überzeugend aus!«
Mit einem Seidenschal war das schnell zu bewerkstelligen, doch ehe ihre Gefährtin ihr den Mund schloß, empfahl Marie:
»Bleibe auf jeden Fall verschleiert, selbst wenn der Schleier dir beim Übersteigen der Mauer hinderlich ist. Wenn du dein Gesicht nicht zeigst, wird die Sache weniger ernst werden, falls man dich erwischt. Nicht viel weniger natürlich, aber du mußt alle Chancen zu deinen Gunsten nutzen. Und nun, Gott befohlen!«
»Das wünsche ich dir auch, Marie. Sei beruhigt, ich werde das Versprechen, das ich dir gegeben habe, halten, es sei denn, ich stürbe!«
»Das versteht sich von selbst. Steck mir jetzt den Knebel in den Mund!«
Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß die Gefangene trotz allem nicht zu schlecht versorgt war, denn ihre Gefangenschaft konnte mehrere Stunden dauern, beugte Cathérine sich zu ihr hinunter, küßte sie auf die Stirn und sah Maries Augen im Schatten blitzen. Dann zog sie sorgsam die rosafarbene Bettdecke über sie und trat ein paar Schritte zurück, um die Wirkung zu prüfen. Die leichte feine Seidendecke reichte Marie bis zur Nase, und im Halbdunkel des Zimmers war die Täuschung vollkommen.
Cathérine hüllte sich in den blauen Schleier ihrer Freundin. Darunter trug sie nichts als die Hose und ein Jäckchen mit kurzen Ärmeln, das ihre Brüste gerade bedeckte und unter ihnen abschloß. Trotz des Schleiers konnte sie sich frei genug bewegen, und nachdem sie Marie noch ein Lebewohl zugeflüstert hatte, ging sie festen Schrittes zur Tür.
Instinktmäßig kreuzten die Wachen die Lanzen, aber sie murmelte, so gut sie konnte, die Stimme des jungen Mädchens nachahmend:
»Ich kehre zurück. Laßt mich passieren, ich bin Aicha!«
Einer der Eunuchen wandte ihr sein großes schwarzes Gesicht mit der plattgedrückten Nase zu und grinste.
»Ziemlich spät, Aicha! Was macht die Favoritin?«
»Sie schläft«, antwortete Cathérine, beunruhigt über diese unerwartete Frage. »Laßt mich durch.«
»Ich muß mich vergewissern, daß du nichts bei dir trägst«, sagte er, seine Lanze an die Mauer lehnend. »Die Favoritin hat wunderbare Schätze bekommen …«
Die schwarzen Hände machten sich daran, sie mit einer Beharrlichkeit und Taktlosigkeit zu betasten, die die empörte junge Frau zweifeln ließen, ob dieser Schwarze seine ganze Männlichkeit verloren hatte. Sie wußte bereits, daß es bei diesen widerwärtigen Wesen unvollkommene Entmannungen gab, die noch merkwürdige Lüste übrigließen. Der da mußte zu dieser Kategorie gehören. Doch als er ihren Gürtel aufschnallen wollte, um seine Untersuchungen weiter unten fortzuführen, brauste sie auf.
»Laßt mich zufrieden! Sonst rufe ich.«
»Wen? Mein Kamerad ist taubstumm und verabscheut die Frauen.«
»Die Favoritin!« sagte Cathérine keck. »Sie ist meine Freundin. Wenn ich sie rufe, wird sie kommen, und dann geht's dir schlecht! Sie wird bestimmt deinen Kopf vom Kalifen fordern, der ihr eine so bescheidene Bitte nicht abschlagen wird.«
Mit Befriedigung sah sie das schwarze Gesicht vor Furcht grau werden. Der Eunuch ließ von ihr ab, nahm seine Lanze und zuckte die Schultern.
»Wenn man nicht mal ein bißchen scherzen darf … Geh deines Wegs und schnell! Es wird sich finden …«
Sie ließ es sich nicht zweimal sagen und schlug, den Schleier wieder um sich drapierend, den Weg in den Schatten des Innenhofes ein. Ohne zu zögern, durchquerte sie den Garten, ging unter einem Wachtturm hindurch und befand sich im Herzen des Harems, im Saal der Zwei Schwestern, so genannt nach den beiden Zwillingsfliesen, die die mittlere Verzierung bildeten. Hier begann die Gefahr, denn mehrere Frauen waren in diesem rot-blau-gold spiegelnden Saal versammelt, der wie eine unterseeische
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