Cathérine und die Zeit der Liebe
überlegte, welchen Weg es einschlagen sollte.
»Es ist zu spät«, murmelte Arnaud. »Wir haben keine Zeit mehr, die Mauer der Oberstadt zu erreichen. Sieh!«
Von allen Seiten tauchten Eunuchen mit ihren unheimlichen Krummsäbeln auf, auf denen die aufgehende Sonne funkelte. Hinter den Sträuchern, wo die beiden Montsalvy den Leichnam Zobeidas gelassen hatte, erklangen gellende Schreie, das »Ju! … Ju!«, die pflichtgemäßen Verzweiflungsschreie der Diener und Sklaven.
»Wir sind verloren!« stellte Arnaud ruhig fest. »Uns bleibt nur noch, anständig zu sterben.«
»Wenn ich bei dir bleibe, glaube ich, daß ich sterben könnte …«, sagte Cathérine, die Hand ihres Gatten fest drückend. »Es wäre nicht das erstemal, daß wir beide dem Tod ins Auge blickten. Erinnere dich an Rouen …«
»Ich habe es nicht vergessen!« erwiderte Arnaud mit flüchtigem Lächeln. »Aber hier gibt es keinen Jean Son, der uns zu Hilfe käme!«
»Aber es gibt Abu al-Khayr … und Gauthier und Josse, meinen Knappen, der in die Truppe des Kalifen eingetreten ist, um Zugang zur Alhambra zu erlangen! … Wir sind nicht allein!« Arnaud sah seine Frau bewundernd an.
»Josse? Wer ist denn das?«
»Ein Pariser Strolch, der auf Pilgerfahrt ging, um Ablaß für seine Sünden zu erlangen … Er ist mir sehr ergeben.«
Trotz der drohenden Gefahr, trotz der nahenden Gestalten, die sie immer enger und unerbittlicher einkreisten, mußte Arnaud lachen.
»Du wirst mich immer erstaunen, Cathérine! Wenn du Satan träfest, ma mie, wärest du fähig, ihm eine Leine um den Hals zu legen und ihn zum gehorsamsten Hündchen zu machen! Ich stelle ebenso mit Vergnügen fest, daß du diesen Muskelberg und normannischen Dickkopf Gauthier bis hierher mitgeschleppt hast. Jetzt wende deine Künste bei denen da an!« fügte er in einem anderen Ton hinzu, auf die Herankommenden deutend. Zwei verschiedene Gruppen näherten sich jetzt dem Paar, das zwischen einem Wasserbecken und einem Rosenstrauch stehengeblieben war. An der Spitze der einen konnten Cathérine und Arnaud die vorhin geflüchteten fackeltragenden Eunuchen erkennen, die dem von sechs Frauen der Prinzessin aufgehobenen Leichnam voranschritten. Den Mann, der die andere anführte, erkannte Cathérine an seinem Turban aus rotem Brokat: Es war der Großwesir Haben-Ahmed Banu Saradj …
»Du hast recht«, murmelte sie. »Wir sind verloren! Der da haßt dich und hat keinen Grund, mich zu lieben …«
Die beiden Gruppen stießen zusammen, bevor sie das Paar erreichten. Banu Saradj blickte lange auf den in seine azurblauen Schleier gehüllten Leichnam hinunter, den die Frauen vor ihm niederlegten. Dann ging er ruhig auf die beiden jungen Leute zu. Cathérine hatte instinktiv bei Arnaud Zuflucht gesucht, der den Arm um ihre Schulter legte. Der Tod, der in Form dieses jungen und eleganten Mannes auf sie zukam, schien ihr schrecklicher zu sein als der, welcher ihr von der Kobra gedroht hatte, vielleicht, weil es furchtbar ist zu sterben, wenn man nach soviel Mühen und Leid endlich die Liebe und das Glück gefunden hat. Der Garten entfaltete seine Schönheit im goldenen Licht des anbrechenden Morgens. Die von der Nacht erfrischten Blumen schienen glanzvoller, und das Wasser warf blaue, glitzernde Reflexe.
Der schwere, seltsam leere Blick Banu Saradjs legte sich jetzt auf Arnaud.
»Du hast die Prinzessin getötet, nicht wahr?«
»Jawohl! Sie wollte meine Frau foltern lassen. Ich habe sie getötet.«
»Deine Frau?«
»Diese hier ist meine Frau, Cathérine de Montsalvy. Sie hat die größten Gefahren auf sich genommen, um zu mir zu gelangen …«
Die schwarzen Augen des Großwesirs ruhten einen Augenblick voller Ironie auf der errötenden Cathérine. Dieser Mann hatte sie in den Armen des Kalifen überrascht, und die Erwähnung der Gefahren, die sie zu bestehen gehabt hatte, mußte ihn zwangsläufig belustigen. Sie schämte sich und machte sich Vorwürfe, weil Arnaud den Spott tragen mußte.
»Es war zweifellos dein Recht«, bemerkte Banu Saradj, »aber du hast Blut aus dem Geschlecht des Herrn der Gläubigen vergossen, und für dieses Verbrechen mußt du sterben.«
»Sei es denn, nimm mein Leben, doch laß meine Gemahlin ziehen! Sie ist unschuldig.«
»Nein!« protestierte Cathérine leidenschaftlich, sich an Arnaud klammernd. »Trenne uns nicht, Wesir! Wenn er stirbt, will auch ich sterben …«
»Ich habe nicht über dein Los zu entscheiden«, wandte Banu Saradj ein. »Der Kalif
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