Cathérine und die Zeit der Liebe
breiter Wall aus Blattwerk auf, der eine Art Turm mit einem Aufsatz und zwei Pavillons sowie einen Portalvorbau aus schlanken Säulchen umschloß. Phantomhafte Gestalten, wahrscheinlich die Wachen, schritten vor dem Portal auf und ab, das sich sofort öffnete, als Abu al-Khayr, die Hände zum Sprachrohr um den Mund gewölbt, einen eigenartigen Ruf ausstieß. Ohne die Geschwindigkeit zu verlangsamen, sprengten die beiden Pferde und ihre Reiter durch das Portal und kamen erst vierzig Fuß dahinter vor blühenden Jasminbüschen zum Stehen. Hinter ihnen wurden die schweren Türen des Landsitzes wieder zugestoßen und versperrt.
Als Cathérine sich vom Pferd gleiten ließ, landete sie beinahe in den Armen Gauthiers. Er packte sie und hob sie hoch empor, von so heftiger Freude ergriffen, daß er seine übliche Zurückhaltung vergaß.
»Am Leben!« rief er. »Und frei! … Odin und der siegreiche Thor seien gelobt, die Euch uns wiedergegeben! Seit Tagen leben wir schon nicht mehr!«
Sie jedoch konnte ihre Ungeduld und Unruhe nicht zügeln.
»Arnaud? Wo ist er?«
»Ganz nahe. Man pflegt ihn …«
»Er ist nicht …« Sie wagte nicht fortzufahren. Sie sah wieder Gauthier, wie er die Pfeile aus den durchbohrten Händen riß und das Blut sprudelte, sah den reglosen Körper, den der Normanne sich über die Schulter warf.
»Nein. Er ist durch den Blutverlust natürlich geschwächt. Maître Abus Pflege wird sehr willkommen sein.«
»Gehen wir hin!« sagte der Arzt, dessen Turban, als er von seinem Riesenroß heruntergepurzelt war, gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten war. Er nahm Cathérine an der Hand und folgte Gauthier durch einen riesigen, mit herrlichen Intarsienarbeiten Tausender leuchtender Blumen verzierten Saal und durch eine Galerie mit kleinen gewölbten Fensteröffnungen. Die Schwarzen Marmorfliesen schimmerten wie ein nächtlicher Weiher um das vielfarbige Inselmeer der dicken Teppiche. Dahinter öffnete sich ein kleinerer Raum. Dort lag Arnaud auf einer Seidenmatratze, neben ihm standen eine unbekannte Frau und Josse, der sich, immer noch in seiner militärischen Kleidung, über ihn beugte. Als der Pariser Cathérine kommen sah, lächelte er ihr breit zu, aber Cathérine ließ sich, ohne ihm oder der Frau Beachtung zu schenken, neben ihrem Gatten auf die Knie fallen.
Er war ohne Bewußtsein, seine Züge waren abgespannt und sehr blaß, und unter seinen geschlossenen Augen lagen tiefe Ringe. Das Blut von seinen verwundeten Händen hatte die mandelgrüne Seide der Matratze und den dicken Teppich des Bodens befleckt, lief aber nicht mehr. Der Atem ging kurz, schwach.
»Ich glaube, daß er leben bleiben wird!« sagte neben Cathérine eine ernste Stimme. Als die junge Frau den Kopf wandte, traf sie auf einen dunklen, tiefen Blick, der ihr unergründlich schien. Als sie die Frau ansah, die das Wort an sie gerichtet hatte, bemerkte sie, daß sie jung und sehr schön war, mit einem Gesicht, dessen Armut den Stolz nicht ausschloß, auf dessen goldfarbene Haut aber fremdartige dunkelblaue Zeichen gemalt waren. Catherines Überraschung erratend, lächelte die Frau sie kurz an.
»Alle Frauen des Großen Atlas sehen so aus«, sagte sie. »Ich bin Amina. Komm mit mir. Wir müssen den Arzt mit den Verwundeten allein lassen. Abu al-Khayr läßt sich nicht gerne von Frauen bei seiner Arbeit stören.«
Cathérine mußte lächeln. Nicht nur, weil Aminas Liebenswürdigkeit ansteckend war, sondern weil ihre Worte sie an ihre erste Begegnung mit dem kleinen maurischen Arzt erinnerten, in dem Wirtshaus an der Straße von Péronne, als er Arnaud, den Cathérine und ihr Onkel Mathieu am Straßenrand verwundet angetroffen hatten, zum erstenmal behandelt hatte. Sie kannte das außerordentliche Geschick ihres Freundes. So ließ sie sich widerstandslos fortführen, um so mehr, als Gauthier ihr erklärte:
»Ich bleibe bei ihm …«
Die beiden Frauen setzten sich an den Rand des schmalen Wasserlaufes, der sich durch den Garten schlängelte. Zwei Rosenbeete säumten ihn, und kleine Springbrunnen plätscherten da und dort, so eine köstliche Frische erzeugend, in der sich die Müdigkeit und Hitze des Tages verflüchtigten. Seidenkissen, in den Farben der Blumen ausgewählt, waren auf dem steinernen Brunnenrand neben goldbronzenen Lampen und großen goldenen Tabletts mit Feingebäck und Früchten aller Art aufgehäuft. Amina lud Cathérine ein, neben ihr Platz zu nehmen, nachdem sie mit einem kurzen Wort ihre Frauen entlassen
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