Cathérine und die Zeit der Liebe
Haut dieses außerordentlichen Mannes soll zur Bekleidung eines Standbildes Christi dienen. Den Rest wird man dann auf den Scheiterhaufen werfen.«
Vor Grauen sträubten sich Cathérine die Haare. Sie mußte sich an die Wand lehnen, so übel wurde ihr, und sie preßte die Hand auf den Magen. Elans wollte sie stützen, doch sie stieß ihn zurück.
»Nein, laßt. Es geht vorüber …«
»Hattest du es nötig, ihr das zu sagen?« brummte der Deutsche.
»Er hat recht getan … Josse kennt mich.«
Sie ließ sich auf einen der Strohsäcke fallen und stützte den Kopf in die Hände. Die erbarmungslose Epoche, in der sie lebte, die Schrecken des Krieges, die sie ohne Unterlaß erlebt hatte, waren ihr zu vertraut, als daß sie sich so leicht aufregte, aber das, was sie eben gehört hatte, überstieg jede Vorstellung.
»Sind diese Leute denn wahnsinnig? Oder bin ich's? … Kann man sich eine solche Barbarei überhaupt ausdenken?«
»Bei den Mauren, die Granada besetzt halten, kann man noch Schlimmeres sehen«, sagte Josse traurig. »Ich stelle fest, daß man in diesem Land noch blutgieriger ist als anderswo …« Cathérine hörte nicht mehr zu. Sie fragte, wie um die Bedeutung eines Christusbildes besser zu verstehen, ob eine solche Entweihung, eine solche Freveltat überhaupt möglich sei.
»Es gibt in der Kathedrale bereits eine Bildsäule dieser Art«, sagte der Baumeister ruhig. »Kommt jetzt! Bleibt nicht hier. Es ist kalt, und die Männer kommen bald zurück …«
Sanft nahm er sie am Arm, führte sie durch den Innenhof und in eine große Küche, die ganz hinten lag und die gesamte Länge des Hauses einnahm. Dort brannte ein Feuer unter einem rußigen schwarzen Kochtopf, dem ein höchst angenehmer Duft entströmte. Eine auf einem Hocker neben einem Faß sitzende alte Dienerin schlief tief, die Hände auf die Knie gelegt, mit geöffnetem Mund. Hans wies mit dem Kopf auf sie und hieß Cathérine, sich auf eine Bank zu setzen.
»Sie heißt Urraca. Und sie ist stocktaub! Wir können sprechen …« Er schüttelte die Alte, die die Augen aufschlug, sofort in einen Wortschwall ausbrach und, ohne die beiden Reisenden überhaupt zu beachten, sich daranmachte, den Topf auszuhaken, um ihn auf den Tisch zu stellen. Dann zog sie aus einer Truhe Näpfe aus Holz und füllte sie mit überraschender Schnelligkeit mit Suppe. Dies getan, kehrte sie wieder zu ihrem Hocker zurück, um zu schlafen. Hans gab Cathérine einen Napf in die Hände, bediente Josse und ließ sich mit dem seinen neben ihnen nieder.
»Eßt zuerst!« riet er, auf Catherines Napf deutend, die, von dem Gehörten überwältigt, keine Bewegung gemacht hatte. »Eßt! Danach werdet Ihr klarer sehen.«
Sie setzte den Napf mit der dicken Suppe aus Speck und Mehl an die Lippen, verbrannte sich und schnitt eine Grimasse. Das Gefäß auf den Tisch zurückstellend, betrachtete sie nacheinander ihre beiden Gefährten.
»Ich muß Gauthier retten! Ich könnte nicht mehr leben, wenn ich ihn auf diese schreckliche Weise zugrunde gehen ließe.« Ihre Worte fielen in das Schweigen. Hans fuhr ruhig fort zu essen, ohne zu antworten. Als er fertig war, schob er seinen Napf zurück, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und murmelte: »Dame, ich möchte Euch nicht widersprechen. Zweifellos war dieser Mann Euer Diener, Euer Freund vielleicht, aber die Zeit kann die Herzen verwandeln. Die Räuber von Oca sind furchtbare Geschöpfe, und dieser Mann war bei ihnen. Seine Seele wurde durch ähnliche Verbrechen, wie sie sie begingen, belastet. Warum wollt Ihr Euer Leben für einen dieser Verfluchten aufs Spiel setzen?«
»Ihr versteht das nicht! Ihr begreift nichts! Wie könntet Ihr auch? Kennt Ihr denn Gauthier? Wißt Ihr, was für ein Mensch er ist? Nehmt zur Kenntnis, Meister Hans: Es gibt im ganzen Königreich Frankreich niemand mit einem besseren Herzen, mit einer treueren Seele als ihn. Es sind erst einige Monate her, daß ich ihn verloren habe, und ich weiß, daß er sich weder für Gold, noch um seine Haut zu retten, in dieser Hinsicht geändert hat. Hört weiter, dann könnt Ihr urteilen!«
In wenigen einfachen Sätzen, ohne irgendwelche sensationellen Wirkungen erzielen zu wollen, schilderte sie dem Deutschen das Leben Gauthiers in ihrer Nähe, wie er sie beschützt, viele Male gerettet hatte, wie er aufgebrochen war, um Arnaud zu suchen, wie er schließlich in einer Schlucht der Pyrenäen verschwunden war. Hans hörte ihr wortlos zu.
»Versteht Ihr jetzt?«
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