Cathérine und die Zeit der Liebe
Traurig dachte Cathérine, daß selbst der Himmel zum Leiden dessen beizutragen schien, der nicht an ihn glaubte. Dann ängstigte sie sich und wurde ungeduldig, indem sie sich die Aufgabe vergegenwärtigte, die sie in den nächsten Stunden erwartete. Würden sie ihre Sache zu einem guten Ende führen? Und wenn sie Gauthier erst aus dem scheußlichen Käfig befreit hatten, wie würden sie ihn aus der Stadt schaffen können? Machte sich der tapfere Hans die möglichen entsetzlichen Folgen einer Entführung klar? So viele Fragen, auf die Cathérine keine Antwort fand.
Schließlich zogen sich die letzten Männer zur Ruhe zurück, und das Feuer brannte nieder. Die alte Urraca war schon lange in irgendeinem Winkel verschwunden. Die Dunkelheit in der verräucherten Küche wurde tiefer. Das Haus füllte sich mit Schnarchgeräuschen; nur Cathérine behielt die Augen offen und hörte nichts als die schweren Schläge ihres Herzens. Sie hatte sich nicht einmal hinlegen wollen, und als sie im Dunkel die schweigende Gestalt des Baumeisters näher kommen sah, erhob sie sich sofort. Auch Josse stand gleichzeitig auf.
»Kommt!« flüsterte Hans. »Jetzt oder nie …«
Alle drei fanden sich wieder am Brunnen im Hof ein. Es regnete fast nicht mehr, aber es war stockfinster.
»Einen Augenblick«, sagte Hans leise. »Wir müssen einiges mitnehmen.« Er gab Cathérine ein in rauhen Stoff gewickeltes Paket, Josse einen schweren, dicken Leinenbeutel und belud sich selbst mit einem großen Sack, der ein ziemliches Gewicht zu haben schien.
»Was ist denn das alles?« fragte Cathérine ganz leise.
»Oben werdet Ihr verstehen. Kommt schnell!«
In der tiefen nächtlichen Dunkelheit schlugen sie denselben Weg ein wie in der vorhergegangenen Nacht. Man konnte keine drei Schritt weit sehen, und sie hielt sich an Hans' Gürtel fest, um nicht zu fallen. Unbehindert gelangten sie zum Portalvorbau und traten in die Kirche. Wie in der Nacht zuvor beteten zwei Mönche am Grabmal des Cid, doch Cathérine warf ihnen kaum einen Blick zu. Sie wurde derart von Ungeduld verzehrt, daß sie bereit war, jedes etwa auftauchende Hindernis über den Haufen zu rennen. Von Zeit zu Zeit tastete sie nach dem treuen Dolch in ihrem Gürtel, entschlossen, sich seiner zu bedienen, wenn es nötig werden sollte.
Auf dem Turm oben zwang sie der heftig fegende Sturm, sich zu ducken, aber ihre Augen hatten sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre zweimal gefallen, als sie sich dem Geländer näherte. Der Käfig erschien nur als dunklerer Fleck in einem dunklen Meer. Die Dächer der Stadt und das umliegende Land verschwammen von oben aus gesehen ineinander.
»Man sieht ja nichts!« flüsterte sie. »Wie sollen wir da vorwärts kommen?«
»Ich sehe genug«, entgegnete Hans. »Das ist die Hauptsache. Achtung, Josse, ich werde jetzt den Käfig hochziehen …«
Die Ärmel hochkrempelnd, spuckte der Baumeister in die Hände und packte das riesige Windenrad, das Cathérine mit Entsetzen betrachtete, weil sie sich nicht denken konnte, daß ein einzelner Mann es in Bewegung setzen könnte.
»Ich werde Euch helfen!« erklärte sie.
»Nein … laßt! Es wird besser sein, Ihr seid Josse behilflich, den Käfig heranzuziehen, wenn er auf der Höhe der Plattform erscheint. Das wird nicht einfach sein … Und was diese Winde anlangt, seid beruhigt, ich kenne sie.«
Nachdem er tief Atem geholt hatte, begann Hans, sich auf die dicke Kurbel der Winde zu stemmen. Der Käfig schwankte, und dann fing er langsam, sehr langsam an, sich zu heben. Kein Geräusch war zu hören. Die Winde war gut eingeschmiert.
Im Käfig rührte sich nichts. Man konnte kaum die reglose Gestalt erkennen.
»Wen er nur nicht tot ist!« seufzte Cathérine, die diese Unbeweglichkeit erschreckte.
»Hoffentlich gelingt es Hans«, sagte Josse beunruhigt. »Das ganz allein hochzuziehen, erfordert Riesenkräfte!«
Die ungeheure Anstrengung des Baumeisters war an seinem kurzen, keuchenden Atem abzulesen. Bis in die letzte Fiber ihrer Haut spürte Cathérine den furchtbaren Kampf zwischen den Muskeln des Mannes und dem Gewicht des Käfigs. Dieser hob sich nur unmerklich.
»Mein Gott! Er wird es nie fertigbringen!« stöhnte Cathérine. Sie wollte sich gerade zu Hans hinstürzen, um ihm zu helfen, so gut sie konnte, als ihr der Atem stockte. Von der Treppe her tauchte ein Schatten auf. Sie hatte nicht mehr Zeit, zu schreien. Der Neuankömmling hatte drei Worte in
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