Cathérine und die Zeit der Liebe
hatte, während Hans seine künstliche Figur in den Käfig setzte und sie, so gut es ging, mit den Lumpen des Gefangenen und einigen Lappen von undefinierbarer Farbe, die er mitgebracht hatte, bedeckte. Eine Kugel aus Lehm, unter Lumpen verborgen, täuschte den auf die Arme gestützten Kopf vor. In der Dunkelheit der Nacht war die Illusion frappierend echt.
»Von den Türmen aus, am hellichten Tag gesehen, würde es einer genauen Prüfung vielleicht nicht standhalten«, meinte Hans. »Aber von unten gesehen, müßte es gehen.«
Die Hauptschwierigkeit waren die Ketten, mit denen der Gefangene gefesselt war. Hans hatte in dem Beutel, den er Josse anvertraut hatte, zwar Schlosserwerkzeug mitgenommen, aber es war nicht leicht, die Eisen abzunehmen, ohne Gauthier zu verletzen. Der geringste Schrei wäre verhängnisvoll. Als Hans den Handschellen mit einer Säge zu Leibe ging, hielt Cathérine den Atem an, denn es schien ihr, daß es fürchterlichen Lärm machen müsse, trotz der eingefetteten Lappen, mit denen sie umwickelt war. Aber der Baumeister bewies wirklich große Geschicklichkeit. Die Arbeit wurde so gut ausgeführt, daß der bewußtlose Mann nicht einmal einen Seufzer ausstieß.
Eiligst wurden die Eisen der plumpen Figur angelegt, und nachdem der Käfig wieder geschlossen war, bedienten Hans und Hatto erneut die Winde, während Cathérine und Josse dafür sorgten, daß er ohne Anprall hinuntergelassen werden konnte. Einige Minuten später hatte das scheußliche Folterinstrument seinen Platz am Turm wiedereingenommen.
Es war aber auch höchste Zeit!
Als hätte der Mond nur auf diesen Augenblick gewartet, trat er aus den Wolken hervor und warf sofort ein kaltes, hartes Licht auf die gesamte Landschaft. Gleichzeitig hörte man am Turm unten die Soldaten einige Worte in ihrer gutturalen Sprache wechseln. Cathérine sah Hans' Zähne blitzen und entnahm daraus, daß er grinste.
»Na also!« flüsterte er. »Der Himmel ist wahrhaftig auf unserer Seite. Jetzt gilt es, unseren Geretteten hinunterzutransportieren, was bei seinem Gewicht keine so leichte Sache sein wird. Die Turmtreppe ist steil, und es ist gut, daß Hatto uns zu Hilfe gekommen ist. Ihr, Dame Cathérine, werdet mit einer Fackel vorangehen, um uns zu leuchten. Gehen wir!«
Die drei Männer packten Gauthier, der eine bei den Füßen, die anderen beiden an den Schultern, während Cathérine sich beeilte, eine Fackel unter dem Schutzdach der Treppe anzuzünden. Dann setzte der Zug sich die Wendeltreppe hinab mit einer Langsamkeit in Bewegung, die verriet, wie anstrengend das war. Obgleich durch die Entbehrungen abgemagert, hatte Gauthier noch immer ein respektables Gewicht, und außerdem ließ sich der riesige Körper nicht leicht auf einer so schmalen Treppe tragen. Ängstlich ging Cathérine der Gruppe voraus, von Zeit zu Zeit einen forschenden Blick auf den Verwundeten werfend, ob sich unter dem Schmutz und dem struppigen Bart das geringste Lebenszeichen zeigte. Aber nichts, kein Zucken, kein Verziehen des Gesichts. Nur das erleichterte Aufseufzen der drei Männer war zu hören, da man unten angekommen war und die Aufgabe jetzt leichter wurde. Leichter vielleicht, aber auch gefährlicher. Wenn einer der Mönche im Gebet den Kopf wandte oder einer der Wachtposten draußen auf den Gedanken käme, in die Kirche zu treten, wären die vier Verschworenen verloren. Es wäre um sie alle geschehen!
Auf Samtfüßen, den keuchenden Atem angehalten, glitten Cathérine und ihre Gefährten langsam zum Portal. Sie hatten es beinahe erreicht, als Gauthier plötzlich ein Stöhnen ausstieß, das in der von dem monotonen Gemurmel der Mönche kaum unterbrochenen Stille in Catherines Ohren wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts klang. Die drei Männer hatten gerade noch Zeit, sich mit ihrer Last in den Schatten eines riesigen Pfeilers gegen das geschlossene Gitter einer Seitenkapelle zu drücken, während die junge Frau dem Verwundeten schnell die Hand auf den Mund preßte.
Die Angst, die die Flüchtlinge während der folgenden Minuten erfüllte, war entsetzlich. Cathérine fühlte ihr Herz in schweren Schlägen in der Brust klopfen. An ihrem Ohr nahm sie den keuchenden Atem Hans' wahr, gegen den sie sich preßte. Die beiden Mönche im Chor hatten ihr Gebet unterbrochen. Sie wandten die Köpfe nach der Seite, von der das Geräusch gekommen war. Cathérine sah das scharfe Profil des einen im Schein einer Kerzenflamme. Der andere machte sogar eine Bewegung, als wollte er
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