Cato 01 - Im Zeichen des Adlers
Claudius habe bereits über hundert Todesurteile unterzeichnet. Ich glaube, viele Verräter können nicht mehr übrig sein.«
»Narcissus ist ein viel beschäftigter Mann, wie es scheint.«
»Und ein sehr wichtiger, seit Claudius ihm die kaiserliche Verwaltung unterstellt hat.«
»Hat sich Narcissus seit meinem Weggang stark verändert ?«
»Nicht so sehr, dass es einem auffallen würde«, erwiderte Cato. »Die meisten Leute hüten in seiner Gegenwart allerdings ihre Zunge – jetzt, da der Kaiser ihm Gehör schenkt.«
»Sieht er noch so aus wie früher?«, fragte Flavia und musterte zerstreut ihre Finger, die sich am Saum ihres Gewandes streckten.
Cato überlegte einen Moment. »Er ist an den Schläfen ein bisschen grauer geworden, doch ansonsten hat er sich kaum verändert.«
»Ich verstehe … Ich verstehe. Und ich hoffe, unser kleines Geheimnis ist noch immer sicher?« fragte sie leise.
Diese Frage hatte er erwartet. Er nickte, sah ihr fest in die Augen und antwortete: »Vollkommen sicher, Herrin. Ich habe dir mein Wort gegeben. Und das gilt bis zu meinem Tod.«
»Ich danke dir.«
Es entstand ein peinliches Schweigen, als sie sich an die Nacht erinnerten, da ein fürchterlicher Sturm über Rom getobt hatte, als sich ein kleiner Junge, vom Gewitter zu Tode geängstigt, im Winkel eines kleinen Vorraums versteckt hatte, wo er im unsteten, durchs Fenster einfallenden Schein der Blitze der Vereinigung eines Paares beiwohnte. Später, als der Mann wieder fort war, entdeckte Flavia den in der Ecke zitternden Cato. Einen Moment lang starrte sie ihn wortlos an, voller Angst vor den Konsequenzen, die sich daraus ergeben mochten. Sie packte ihn bei den Schultern und ließ ihn Stillschweigen geloben. Dann, als sie sah, wie sehr er sich fürchtete, schloss sie ihn in die Arme. Anschließend fühlte sie sich trotz ihrer unterschiedlichen sozialen Stellung für Cato verantwortlich und sorgte dafür, dass er von den anderen Palastsklaven gut behandelt wurde. Später verließ sie den Kaiserpalast und lernte Vespasian kennen.
Flavia beschloss, die Unterhaltung auf sichereres Terrain zu leiten. »Und nun erzähl mir, Cato, was dir hier am meisten fehlt.«
»Die Bibliotheken«, antwortete er ohne Zögern. »Hier bekomme ich allerhöchstens ein abgegriffenes Armeehandbuch zu lesen. Als ich Rom verließ, las ich gerade die Römische Geschichte von Livius. Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich die Lektüre fortsetzen kann.«
»Geschichte!«, rief Flavia aus. »Warum in aller Welt befasst du dich denn mit Geschichte? Ich dachte, ihr jungen Männer mögt die Dichtkunst – Lucretius, Catullus, Ovid – halt solche Sachen.«
»Ovid ist nicht ganz leicht zu bekommen, Herrin«, rief Cato ihr in Erinnerung. »Außerdem ist mein Geschmack wohl ein wenig konservativ. Ich habe mich vor allem mit Vergil beschäftigt.«
»Vergil ist doch ein solcher Langweiler«, klagte Flavia. »Kein Quentchen Gefühl oder Einfühlungsvermögen. Nichts als geschwollene Eleganz.«
»Da muss ich widersprechen. Bisweilen finde ich ihn geradezu sublim – er versteht es, seine Vorstellungen auf zeitlose Art und Weise in Worte zu kleiden. Während die billigen gefühlsduseligen Gegenwartsautoren irgendwann nur mehr Schatten der Erinnerung sein werden, wird Vergils Einfluss noch die nächsten Jahrhunderte durchströmen. «
»Sehr poetisch ausgedrückt, Cato, aber sprichst du von der Zeit oder von Legionären?«
»Von Letzteren wohl kaum.« Cato stimmte in Flavias Lachen ein. »Die Schönheiten der Literatur sind nicht das vorrangigste Anliegen solcher Männer.«
»Reich mal die Mäuse rüber«, warf Macro ein.
»Jawohl, Herr«, antwortet Cato schuldbewusst. »Hier sind sie, Herr.«
»Liest du auch viel?«, wandte Flavia sich an Macro. »Ich frage nur deshalb, weil ich mich vergewissern möchte, ob Cato nicht etwas übertrieben hat. Ich kann einfach nicht glauben, dass die Offiziere meines Mannes die Musen gänzlich außer Acht lassen.«
»Herrin!«
»Liest du Gedichte, Zenturio?«
»Nicht häufig, dafür habe ich keine Zeit.«
»Aber du hast doch bestimmt irgendetwas gelesen«, beharrte Flavia.
»Selbstverständlich, Herrin.«
»Also, wer ist dein Lieblingsdichter?«
»Wer mein Lieblingsdichter ist? Da muss ich mal nachdenken. Wahrscheinlich der Bursche, den der junge Cato eben erwähnt hat.«
»Ach, wirklich?« Flavia runzelte die Stirn. »Und welches von Vergils Werken schätzt du am meisten?«
»Eine schwierige Frage, Herrin. Ich
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