Cato 01 - Im Zeichen des Adlers
finde alle seine Sachen gut.«
»Feigling!«, meinte Flavia lachend. »Offen gesagt bezweifle ich, dass du überhaupt etwas von ihm oder irgendeinem anderen Dichter gelesen hast. Ich glaube, du kannst gar nicht lesen.«
Sie lachte erneut, während Macro schweigend auf seinen Teller niederblickte. Cato spürte die Verlegenheit des Zenturios.
»Pst!« Flavia legte den Zeigefinger an die Lippen. »Ich glaube, der Legat möchte etwas sagen.«
Vespasian leerte sein Weinglas und erhob sich. Auf einen Wink von ihm hin befahl der Majordomus den Sklaven, Karaffen mit Falerner an alle Tische zu bringen. Dann rammte Vespasian seinen Stock auf den Mosaikboden. Stille senkte sich herab, und alle Blicke wandten sich der Tafel am Kopfende des Raumes zu. Vespasian wartete, bis es ganz still geworden war, erst dann hob er zu sprechen an.
»Meine Herren, meine Damen, euch ist gewiss nicht entgangen, dass die Legion sich auf eine Verlegung vorbereitet. Heute Abend möchte ich bestätigen, dass die kaiserliche Verwaltung uns den Marschbefehl übermittelt hat. Die Legion soll schnellstmöglich zur Westküste Galliens marschieren … «
Hatte Vespasian mit einer heftigen Reaktion gerechnet, so wurde er enttäuscht. Viele Offiziere im Raum wandten verlegen den Blick ab und rutschten unruhig auf ihren Plätzen hin und her. Ein, zwei höfliche Menschen versuchten, überrascht dreinzublicken, so als stellte dies tatsächlich eine Neuigkeit für sie dar, doch Vespasian durchschaute sie augenblicklich und fuhr ein wenig säuerlich fort. »Dort eingetroffen, sollen wir uns mit Teilen von vier weiteren Legionen vereinen und nach Britannien einschiffen. Gegenwärtig wird bereits eine Flotte zusammengezogen, und ehe das neue Jahr beginnt, wird zu Ruhme und Ehre unserer Kaiser Tiberius, Drusus und Claudius eine neue Provinz dem Reich eingegliedert werden. Die Legion bricht in zwei Monaten auf, die Festung wird in unserer Abwesenheit von einer gemischten Hilfskohorte aus Macedonia bewacht werden. Ihr wisst, wie in derlei Fällen verfahren wird. Und nun füllt eure Becher und trinkt auf den Kaiser!«
Nachdem der Sanitäter Macro mit Catos Hilfe von der Trage ins Bett gehoben hatte, packte der Zenturio Catos Tunika und zog ihn dicht zu sich heran.
»Bleib hier. Ich habe noch etwas mit dir zu bereden«, meinte Macro grimmig.
Als Cato mit seinem Vorgesetzten allein war, fragte er sich mit seinem von der eisigen Nachtluft geschärften Verstand, was diesen Stimmungsumschwung herbeigeführt haben mochte. Einen Moment lang musterte Macro Cato prüfend, dann hob er zu sprechen an.
»Cato, kann ich dir vertrauen?«
»Herr?«
»Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen? Ein Geheimnis, das ich mit niemand anderem zu teilen wage?«
Cato schluckte nervös und trat unwillkürlich einen Schritt vom Bett zurück. »Das kommt darauf an, Herr. Ich meine, ich fühle mich natürlich geschmeichelt, aber du weißt ja, wie das ist, manche Leute tun es und andere nicht. Ich gehöre zufällig nicht dazu. Tut mir Leid, Herr.«
»Verflucht noch mal, was redest du denn da?« Macro stützte sich stirnrunzelnd auf einen Ellbogen auf. »Wenn du auch nur einen Moment lang glaubst, ich wäre ein verdammter Dieb, dann reiße ich dir deinen Scheißkopf ab. Verstanden? «
»Ja, Herr.« Cato entspannte sich. »Wie kann ich dir helfen ?«
»Du kannst mir helfen … Du kannst mir helfen, lesen zu lernen.«
»Lesen?«
»Ja, lesen, verdammt noch mal! Diese ganzen verfluchten Worte und so. Ich will wissen, wie man’s macht. Ich will nicht besser lesen können als jeder beliebige andere auch. Die Sache ist nämlich die, dass ich lesen und schreiben können muss, wenn ich Zenturio bleiben will. Und diese verfluchte Frau hätte mich beinahe drangekriegt. Irgendwann aber kommt es trotzdem raus, und dann werde ich degradiert. Es sei denn, ich lerne lesen.«
»Ich verstehe. Und ich soll dich unterweisen?«
»Ja. Aber du musst mir versprechen, niemandem davon zu erzählen. Tust du das?«
Cato überlegt einen Moment, dann antwortete er so, wie es seiner Art entsprach. »Selbstverständlich unterweise ich dich, Herr.«
17
Der Winter machte allmählich dem Frühling Platz, und der Schnee schmolz; einige Wochen lang verwandelten heftige Regenfälle alle ungeschotterten Straßen in Morast. Allein die kaiserlichen Boten besuchten noch die abgelegene Zweite Legion und brachten die neuesten Instruktionen für die bevorstehende Truppenverlegung mit. Wenn sie ihre Mitteilungen
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