Cato 03 - Der Zorn des Adlers
da es keine zuverlässigen Nachrichten über die Stärke von Caratacus’ neu rekrutierter Armee gab. Es war ja nicht sicher, ob Caratacus nicht doch zu konventionelleren Methoden zurückkehren würde, wenn er es mit einem isolierten Armeeteil zu tun hatte. Wollte man Caratacus jedoch daran hindern, über die Tamesis nach Süden zu entschlüpfen, musste eine Armee bereitstehen, die ihm diesen Ausweg verwehrte, und diese Aufgabe war nun der Zweiten zugefallen. Vespasian sah von der Landkarte auf.
»Warum wir, Herr? Warum die Zweite?«
Der General starrte ihn vor seiner Antwort einen Moment lang an. »Ich brauche dir keine Gründe zu nennen, Legat. Meine Befehle reichen.«
»Ja, Herr.«
»Aber du würdest die Gründe gerne wissen?«
Vespasian erwiderte nichts, um den angemessenen Eindruck soldatischer Gelassenheit zu erwecken, obgleich er vor Neugierde brannte. Er zuckte die Schultern.
»Ich verstehe. Nun denn, Legat, morgen früh erhältst du deine schriftlichen Anweisungen vom Hauptquartier. Bei gutem Wetter wirst du vermutlich schon frühmorgens aufbrechen wollen.«
»Ja, Herr.«
»Gut. Dann lass uns den Wein leeren.« Plautius füllte erneut beide Becher und hob den seinen mit einem Trinkspruch: »Auf ein schnelles Ende des Feldzugs und einen wohlverdienten Urlaub in Rom!«
Sie tranken den lauwarmen Wein. Plautius lächelte seinem Untergebenen zu. »Ich nehme an, du hast es eilig, zu deiner Frau zurückzukehren.«
»Ich kann es kaum erwarten«, erwiderte Vespasian ruhig, dem bewusst war, welch heftige Gefühle jede Erwähnung seiner Frau in ihm hervorrief. Er bemühte sich, den General von sich abzulenken: »Ich nehme an, dass auch du dich nach deiner Familie zurücksehnst.«
»Ah! Da habe ich einen Vorteil.« In Plautius’ Augen stand der Schelm.
»Herr?«
»Ich muss nicht nach Rom zurückreisen, um sie zu sehen. Sie sind unterwegs hierher. Tatsächlich sollten sie sogar in Kürze hier eintreffen … «
5
Über hart gefrorenen Boden marschierte die Zweite Legion aus den Toren des riesigen Lagers. Die von Soldatenstiefeln immer wieder aufgewühlte Matschfläche, die sich in den feuchtkalten Wintermonaten vor den Befestigungswällen gebildet hatte, war jetzt steinhart, und die Schneedecke, die sie bedeckte, hatte sich unter den Füßen der Legionäre zu einer Eisschicht verdichtet. Die Baumstümpfe, die die Ausfallstraße vom Lager nach Westen in Richtung der fernen Tamesis säumten, glitzerten unter ihrem Frostmantel. Über der scharf hervortretenden Horizontlinie hinter der Legion leuchtete die Sonne an einem so intensiv blauen Himmel, wie er nur an einem ganz klaren Wintertag zu sehen ist.
Die Luft war so kalt, dass einige der Männer, die mit ihrer schweren Ausrüstung beladen losmarschierten, bei tiefen Atemzügen husten mussten. Unter den genagelten Stiefelsohlen knirschte der Schnee und knackte das Eis. Die unbeholfeneren Nachzügler am Ende der Kolonne folgten rutschend und um ihr Gleichgewicht kämpfend dem dicht gedrängten Zug der Legion. Weit voraus fächerten sich die berittenen Kundschafter auf und trabten, von glitzernd aufstiebenden Schneewolken gefolgt, über die hügelige, weiße Landschaft davon. Die von der scharfen Luft und der Aussicht auf Bewegung erregten Pferde kauten auf ihren Mundstücken herum und tänzelten lebhaft. Überall in der Kolonne aus Menschen und Tieren stiegen kleine Dampfwölkchen hoch und lösten sich in der Luft auf, während jedermann seinem langen, scharf gezeichneten Schatten folgte, der vor ihm auf den Schnee fiel.
Cato empfand in solchen Momenten immer eine nicht in Worte zu fassende Lebensfreude. Nach den langen Monaten des Eingepferchtseins im riesigen Lager, wo nur kurze Patrouillengänge, sinnloser Drill und Waffentraining von der Langeweile des Alltagstrotts ablenkten, war der heutige Marsch eine Befreiung. Seine Augen wanderten umher und weideten sich an der nüchternen Schönheit der britischen Winterlandschaft. Dicht in seinen Umhang gehüllt und mit gewebten Handschuhen an den Händen wurde ihm beim steten Marschiertempo bald angenehm warm. Selbst seine Füße, die während der Aufstellung der Legion im ersten Tageslicht fast eingefroren waren, tauten nun schnell wieder auf. Seine fröhliche Stimmung wurde nur durch den mürrischen Gesichtsausdruck seines Zenturios etwas gedämpft, der mit ihm zusammen an der Spitze der Sechsten Zenturie der Vierten Kohorte schritt. Macro vermisste schon jetzt die Bierschenken und Fleischtöpfe
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