Cato 03 - Der Zorn des Adlers
mich doch wohl nicht für so alt, dass ich eine solche Beförderung durch jahrelange vorbildliche Leistungen erworben haben könnte, oder?«
»Wolltest du eigentlich Soldat werden?«
»Ursprünglich nicht.« Cato lächelte verlegen. »Als Junge habe ich mich viel mehr für Bücher interessiert. Ich wollte Bibliothekar werden oder vielleicht sogar Dichter.«
»Dichter? Was ist denn das?«
»Ein Dichter schreibt Geschichten oder Gedichte oder Theaterstücke. So etwas gibt es hier in Britannien doch sicherlich auch?«
Boudica schüttelte den Kopf. »Nein. Wir besitzen zwar einige geschriebene Worte, die uns von den Vorfahren überliefert wurden, aber nur einige wenige Menschen kennen ihre Geheimnisse.«
»Und wie gebt ihr dann eure Erzählungen und eure Geschichte weiter?«
»Wir haben sie hier oben.« Boudica klopfte sich an die Schläfe. »Unsere Geschichten werden mündlich von einer Generation zur nächsten überliefert.«
»Das kommt mir ziemlich unzuverlässig vor. Seid ihr denn nicht in Versuchung, die Geschichte bei jedem Erzählen aufzupolieren?«
»Aber darum geht es doch gerade. Je mehr eine Erzählung sich entwickelt – je mehr sie ausgeschmückt wird und die Zuhörer fesselt –, desto großartiger ist sie und desto mehr bereichert sie uns als Volk. Ist das in Rom etwa anders?«
Cato überlegte einen Moment. »Eigentlich schon. Einige von unseren Autoren erzählen Geschichten, aber viele sind Historiker, die ihren Stolz dareinsetzen, die Tatsachen so darzustellen, wie sie sind.«
»Wie langweilig.« Boudica verzog das Gesicht. »Es muss doch Leute geben, die als Geschichtenerzähler ausgebildet sind, so wie unsere Barden. Oder nicht?«
»Einige«, gab Cato zu. »Aber denen bringt man nicht dieselbe Achtung entgegen wie den Dichtern. Die Erzähler sind nur Ausführende.«
»Nur Ausführende?« Boudica lachte. »Ihr seid wirklich ein sonderbares Volk. Was bringt denn ein Dichter hervor? Wörter, nichts als Wörter. Einfach nur Zeichen auf einer Schriftrolle. Ein guter Geschichtenerzähler dagegen zieht sein Publikum in seinen Bann. Sind geschriebene Worte dazu überhaupt in der Lage?«
»Manchmal schon«, verteidigte sich Cato.
»Nur wenn man lesen kann. Und wie viele unter euch Römern sind denn des Lesens mächtig? An einer Geschichte dagegen kann jeder teilhaben. Was ist also besser? Das geschriebene oder das gesprochene Wort? Nun, Cato?«
Cato runzelte die Stirn. Allmählich fand er diese Unterhaltung ganz schön verwirrend. Zu viele der ewigen Wahrheiten seiner Welt gerieten ins Wanken, wenn er sich auf Boudicas Sichtweise einließ. Nach seiner Meinung war das geschriebene Wort die einzige zuverlässige Möglichkeit, das Erbe einer Nation zu bewahren. Solche Aufzeichnungen sprachen noch nach Generationen so frisch und wahrhaftig zu ihren Lesern wie zur Zeit ihrer Anfertigung. Doch was nützte ein solch wunderbares Mittel den ungebildeten Massen, von denen das Imperium wimmelte? Für sie kam nur eine mündliche Überlieferung mit all ihren Schwächen in Frage. Dass die beiden Traditionen sich ergänzen könnten, war nach seinem Verständnis von Literatur undenkbar. Bücher stellten das grundlegende Mittel der Geistesbildung dar. Volksmythen und -legenden waren nur ein armseliger Trost, der die Unwissenden betörte und vom wahren Weg der Selbstverbesserung ablenkte.
Doch dann dachte er über die Frau nach, die ihm gegenübersaß. Sie war offensichtlich stolz auf ihr Volk und sein kulturelles Erbe, aber sie war auch gebildet. Sonst spräche sie ja nicht fließend Latein.
»Boudica, wie hast du eigentlich Latein gelernt?«
»Genau so, wie jeder eine andere Sprache lernt – durch hartes Üben.«
»Aber warum Latein?«
»Ich spreche auch etwas Griechisch.«
Cato hob anerkennend die Augenbrauen. In einer so rückständigen Gesellschaft war das keine kleine Leistung, und das machte ihn neugierig. »Wer hatte denn die Idee, dich diese Sprachen lernen zu lassen?«
»Mein Vater. Er hat schon vor Jahren vorausgesehen, wohin die Dinge sich entwickeln. Schon damals kamen Händler aus aller Herren Länder an unsere Küsten. Solange ich mich erinnern kann, gehören Griechisch und Latein zu meinem Leben. Mein Vater wusste, dass die Römer eines Tages der Versuchung erliegen würden, sich der Insel zu bemächtigen. Spätestens dann würde es äußerst vorteilhaft sein, die Sprache der Eroberer zu beherrschen. Mein Vater hielt sich für zu alt und war zu beschäftigt, um eine fremde Sprache zu
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