Cato 03 - Der Zorn des Adlers
einschlafen, Papa. Es war zu viel Lärm. Was ist denn passiert?«, fragte Cato so unschuldig wie möglich. »Überall wimmelte es von Prätorianern. Hat Sejanus vielleicht einen weiteren Verräter gefasst?«
Sein Vater reagierte mit einem grimmigen Lächeln. »Nein. Sejanus wird von jetzt an keine Verräter mehr fassen. Er ist weg.«
»Weg? Er hat den Palast verlassen?« Plötzlich kam Cato ein schrecklicher Gedanke. »Heißt das, dass ich nicht mehr mit Marcus spielen kann?«
»Ja … ja, das heißt es. Marcus … und seine Schwester …« Angesichts der grässlichen Gräueltat, die an diesem blutigen Tag auch an Sejanus’ unschuldigen Kindern begangen worden war, verzog Catos Vater schmerzlich das Gesicht. Dann beugte er sich über seinen Sohn und küsste ihn auf die Stirn. »Sie haben ihren Vater begleitet. Leider wirst du sie nicht wiedersehen.«
»Warum nicht?«
»Das erzähle ich dir später. Vielleicht in ein paar Tagen.«
Aber sein Vater erzählte es ihm nie. Stattdessen erfuhr Cato es am nächsten Morgen von den anderen Sklaven in der Palastküche. Catos erste Reaktion auf die Nachricht von Sejanus’ Tod war eine riesige Erleichterung, dass die Ereignisse des Vortags nichts mit dem Löffeldiebstahl zu tun gehabt hatten. Alle Aufregung, alle Angst vor Entdeckung und Strafe waren vorüber, und ihm fiel ein Stein vom Herzen. Mehr war ihm an jenem Morgen nicht wichtig.
Jetzt, mehr als zehn Jahre später, brannte sein Gesicht bei dieser Erinnerung vor Scham. Dieser Vorfall und noch einige ähnliche stiegen häufig quälend in ihm hoch und trieben ihn in einen hilflosen Selbsthass. So war es auch mit seiner gegenwärtigen, aus Selbstüberschätzung geborenen Angst, und genauso würde es ihm auch in Zukunft ergehen. Anscheinend musste er sich, ob er wollte oder nicht, immer wieder aufs Neue mit bohrender Selbstkritik martern, und er fragte sich, ob er wohl jemals mit sich ins Reine kommen würde.
Auch den Rest des Tages blieb der Himmel grau und trübe, und im Wald regte sich kein Windhauch. Die Stille zwischen den Bäumen versetzte die Reiter in eine dumpfe Unruhe. Cato überlegte sich, dass die karge Ästhetik des Winters dem Wald unter anderen Umständen vielleicht eine gewisse Schönheit verliehen hätte. Doch im Moment fuhr er bei jedem Rascheln im Gestrüpp und Knacken im Gezweig im Sattel zusammen und spähte nervös ins schattige Gehölz.
Sie folgten einer Biegung des Pfades und ritten an einem Brombeerdickicht vorbei. Ohne Vorwarnung hörte man dort plötzlich einen Aufruhr von krachendem Holz und peitschenden Zweigen. Cato und Macro warfen die Kapuzen zurück und zogen die Schwerter. Die Pferde bäumten sich mit geweiteten Nüstern und aufgerissenen Augen auf und wichen vor dem Gestrüpp zurück. Aus dem wild schwankenden Dickicht brach plötzlich ein Hirsch. Aus zahlreichen Kratzern blutend, schnaubte er seinen dampfenden Atem in die klamme Luft, senkte das Geweih vor dem nächststehenden Pferd und schüttelte drohend den Kopf.
»Achtung!«, schrie Macro, die Augen auf die scharfen, weißen Enden gerichtet. »Weicht ihm aus!«
Im Durcheinander der ausweichenden Pferde erblickte der Hirsch eine Lücke und preschte hindurch. Während die Reiter noch um die Kontrolle ihrer erschreckten Tiere kämpften, jagte der Hirsch so eilig in die Tiefen des Waldes auf der gegenüberliegenden Seite des Pfades, dass große Klumpen des modrigen Waldbodens unter seinen hämmernden Hufen hochspritzten.
Prasutagus bekam sein Pferd als Erster in den Griff, blickte sich nach den Römern um und brach in Gelächter aus. Macro sah ihn finster an, merkte aber plötzlich, dass er noch immer sein Schwert gezückt hatte. Auch seine Anspannung entlud sich in Gelächter, und von der Belustigung des Iceni-Kriegers angesteckt, steckte er sein Schwert in die Scheide. Cato folgte seinem Beispiel.
Der britische Kundschafter murmelte etwas, zupfte an den Zügeln und ritt weiter.
»Was hat er gesagt?«, fragte Macro Boudica.
»Er weiß nicht, wer höher gesprungen ist, du oder der Hirsch.«
»Sehr komisch. Sag ihm, dass er auch nicht schlecht gehüpft ist.«
»Besser nicht«, mahnte Boudica zur Vorsicht. »Wenn es um seinen Stolz geht, ist er ein bisschen empfindlich.«
»Ach ja? Dann haben wir ja etwas gemeinsam. Und jetzt übersetz ihm das.« Macro versuchte, mit festem Blick Boudicas Widerstand zu überwinden. »Jetzt mach schon, übersetz ihm das.«
Prasutagus blickte über die Schulter zurück. »Kommt! Wir müssen
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