Cato 04 - Die Brüder des Adlers
Tincommius los.
»Was? O ja, mach weiter. Aber wenn er bei seiner Geschichte bleibt, kannst du bald Schluss machen und dich ausruhen.«
»Schluss machen?« Hortensius bückte sich und zog die Speerspitze aus dem Feuer. In der Dunkelheit glühte sie nur noch intensiver: ein feuriges Gelb, auf dem noch hellere Splitter wie Nadelstiche funkelten. Darum herum flimmerte die Luft vor Hitze. »Meinst du, Schluss machen mit ihm?«
»Ja.«
»Sehr gut, Herr.« Zenturio Hortensius nickte, drehte sich wieder zum atrebatischen Prinzen um und zielte mit dem Folterinstrument auf sein Hinterteil. Der Legat schritt gemessenen Schrittes von der Schanze weg, damit der Zenturio und der Tribun auf keinen Fall merkten, dass der Anblick Unbehagen in ihm weckte. Sobald Vespasian und Quintillus die Verschanzung passiert hatten, hörten sie ein Zischen, gefolgt von einem unmenschlichen Gebrüll, das wie ein Messer die Luft durchschnitt. Vespasian schritt zu jenem Lagerraum des Königs, in dem er sein improvisiertes Hauptquartier aufgeschlagen hatte, und Quintillus musste sich beeilen, um Schritt zu halten.
»Nun, Herr, was meinst du?«
»Ich frage mich, ob Zenturio Cato nicht doch guten Grund zu seiner Warnung hatte.«
Quintillus sah ihn nervös an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein, Herr! Caratacus soll hierher unterwegs sein? Das ist unmöglich. Der General hat ihn auf der anderen Seite des Flusses festgenagelt.«
Ein weiterer Schrei zerriss die Stille, und Vespasian deutete ruckartig mit dem Daumen nach hinten. »Also, er glaubt jedenfalls daran.«
»Es ist so, wie du vorher sagtest, Herr, er versucht einfach nur, uns Angst zu machen.«
»Das hätte jetzt eigentlich nicht mehr viel Sinn, wenn es nicht wirklich stimmt.«
»Mag sein«, räumte Quintillus widerstrebend ein. »Dann ist er selbst ja vielleicht auch belogen worden.«
Vespasian blieb stehen und wandte sich dem Tribun zu: »Warum legst du eigentlich so viel Wert darauf, dass wir hier bleiben? Das hat doch nicht etwa damit zu tun, dass du der erste römische Prokurator der Atrebates sein möchtest?«
Der Tribun antwortete nicht.
»Hatte ich es mir doch gedacht«, bemerkte Vespasian höhnisch. »Es steht hier aber ein bisschen mehr auf dem Spiel als deine Karriere, Quintillus. Vergiss das nicht.«
Der Tribun zuckte mit den Schultern, schwieg aber weiterhin. Erbittert über die Unfähigkeit dieses Mannes, die potenzielle Gefahr zu erkennen, seufzte Vespasian unwillig.
»Tribun, sollte mir irgendetwas zustoßen, bist du hier der ranghöchste Offizier, ist dir das klar?«
»Jawohl, Herr.«
»In diesem Fall wird es deine Pflicht sein, meine letzten Befehle auszuführen. Und das heißt, dass du der Sicherheit der Männer unter deinem Kommando einen angemessenen Rang einräumen musst. Du wirst ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel setzen. Sollte das bedeuten, dass Calleva aufgegeben werden muss, wirst du das tun.«
»Wie du wünschst, Herr.«
»Wie ich es befehle.«
»Jawohl, Herr.«
Vespasian sah den Tribun scharf an, um ihm klarzumachen, wie ernst es ihm mit seinem Befehl war, und fuhr dann fort: »Ich möchte, dass du den Kohortenkommandanten Anweisung erteilst, ihre Männer bei Tagesanbruch marschbereit zu haben. Los.«
Mit einem militärischen Gruß marschierte der Tribun ins Dunkel davon, und Vespasian sah ihm nach, bis er im Dunkeln nicht mehr zu erkennen war. Sollte ihm, dem Legaten, etwas zustoßen und Quintillus das Kommando übernehmen, wären die Folgen für die Legionäre möglicherweise verheerend. Vielleicht sollte er dem Tribun seine Anweisungen schriftlich erteilen und einen der Kohortenkommandanten als Zeugen berufen. Doch so schnell die Idee ihm in den Sinn gekommen war, so schnell und verächtlich verwarf Vespasian sie wieder. Er fand den Tribun zwar unausstehlich, durfte ihn aber nicht derart unehrenhaft behandeln. Quintillus hatte seine Befehle erhalten und war ihnen mit seiner Ehre verpflichtet.
Dann kehrten Vespasians Gedanken plötzlich zu dem Albtraum zurück, dass Caratacus vielleicht schon im Anmarsch auf Calleva sein mochte. Eigentlich war es recht unwahrscheinlich, dass es dem britischen Kommandanten gelungen sein sollte, General Plautius zu entwischen. Doch Tincommius blieb bei seiner Darstellung. Das eröffnete eine Reihe von Möglichkeiten. Vielleicht hoffte der Prinz einfach darauf, dass die Römer aus Angst um ihr Leben Calleva verließen und die Durotriges dann zurückkehren könnten, um ihr Vernichtungswerk zu vollenden. Wenn
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