Cato 04 - Die Brüder des Adlers
der am weitesten vom bewachten Eingang zu den Gemächern des Königs entfernt war, auf dem Bauch lag. Die Nacht war hereingebrochen und in den Haltern an der Wand flackerten einige Fackeln. Tincommius rutschte rasch zur Seite, bevor Cadminius ihm einen zweiten Tritt versetzen konnte, und so packte der Hauptmann der königlichen Leibwache das Seil, das um den Hals des Gefangenen gebunden war, und verpasste ihm einen kräftigen Ruck.
»Verdammt!«, würgte Tincommius hervor und tastete mit den gefesselten Händen nach dem Hals. »Das hat wehgetan. «
»Schade, dass du nicht lange genug lebst, um dich daran zu gewöhnen«, erwiderte Cadminius grinsend. »Und jetzt auf die Beine mit dir. Der König möchte mit dir sprechen. Vielleicht deine letzten Worte, hm?«
Der atrebatische Prinz wurde wie ein Hund am Strick geführt und krümmte sich vor dem Hass in den Augen all derer, denen er auf dem Weg durch die Mitte des Saals begegnete. Ein Verwundeter mit einem Lumpenverband um den Kopf stemmte sich auf die Ellbogen und versuchte, den Vorübergehenden zu bespucken, war aber so schwach, dass der Speichel auf seiner eigenen Brust landete. Tincommius blieb höhnend stehen.
»Du Jammerlappen. Haben die Römer dich schon so fertig gemacht, dass du es nicht mehr besser kannst?«
Cadminius war bei diesen Worten des Prinzen stehen geblieben, doch jetzt verpasste er dem Seil einen kräftigen Ruck. »Komm schon, mein Hübscher, wir wollen doch nicht gehässig werden.«
Als der Strick um seinen Hals Tincommius fast die Luft abschnürte, johlten die Männer und überschütteten den Verräter mit Beleidigungen. Er schluckte nervös und räusperte sich, aber dennoch war seine Stimme nur ein Krächzen: »Lacht nur … solange ihr noch könnt … ihr Sklaven!«
Am Eingang zu Vericas Gemächern angelangt, zerrte Cadminius den Gefangenen über die Schwelle. Verica saß aufrecht im Bett, wenn auch noch immer leichenblass, und forderte den Hauptmann seiner Leibwache mit einer matten Geste auf, Tincommius näher heranzuführen. Auf Schemeln neben dem Bett saßen Vespasian und Tribun Quintillus. In ihrer Nähe stand ein kräftiger, muskulös gebauter Zenturio, dessen Miene einen harten und grausamen Ausdruck aufwies. Verica versuchte, den Kopf zu heben, hatte aber nicht die Kraft dazu, drehte ihn zur Seite und schielte zu seinem verräterischen Neffen hinunter, der am Fußende des Bettes auf die Knie gestoßen worden war.
»Bringt ihn näher«, befahl Verica leise, und Cadminius stieß den Gefangenen mit einem Tritt nach vorn.
Kurze Zeit sagte keiner etwas, und das einzige Geräusch war der pfeifende Atem des Königs sowie gelegentliches Schmerzgeschrei der Verwundeten im Saal.
»Warum, Tincommius?« Verica schüttelte den Kopf. »Warum hast du uns verraten?«
Tincommius hatte seine Antwort parat und konterte sofort: »Ich habe dich verraten, Onkel, weil du unser Volk verraten hast.«
»Nein, junger Mann … Ich habe es gerettet. Habe es vor einem Massaker bewahrt.«
»Um es für deine Freunde hier zu versklaven?« Tincommius kicherte freudlos. »Das ist mir eine Rettung. Lieber sehe ich dem Tod ins Auge als …«
»Halt den Mund!«, fuhr Verica ihn an. »Wie oft habe ich solchen Unfug schon von jungen Heißspornen gehört!«
»Unfug? Ich bezeichne das als Ideale.«
»Was sind denn Ideale?«, fragte Verica spöttisch. »Sie verblenden ihre Anhänger derart, dass sie das von ihnen angerichtete Grauen nicht mehr sehen. Wie viele Tausende Angehörige deines Volkes willst du denn für deine Ideale sterben sehen, Tincommius?«
»Für meine Ideale? Alter Mann, merkst du denn nicht, dass sie meine Vision teilen?«
»Sie? Wer denn genau?«
»Mein Volk. Du glaubst mir nicht? Dann frag das Volk doch. Mein Vorschlag ist, dass wir uns beide an das Volk wenden, dann sehen wir ja, was es denkt.«
»Nein.« Verica lächelte dünnlippig. »Du weißt, dass das unmöglich ist. Ohnehin könnte … ein alter Mann … nicht die Überzeugungskraft eines leidenschaftlichen jungen Menschen aufbringen. Der Geruch der Sterblichkeit missfällt den Menschen. Sie wollen, dass ihre Träume von makellosen Lippen geschaffen werden. Deine Stimme wäre schneidend und klar. Mit deinen Worten dargestellt, würde die Welt ganz einfach aussehen. Viel zu einfach. Was könnte ich, beladen mit dem Wissen um das wahre Wesen der Welt, dem denn entgegensetzen? Tincommius, du würdest ihnen einen gefährlichen Traum verkaufen. Ich aber habe nur die kleine Münze
Weitere Kostenlose Bücher