Cato 04 - Die Brüder des Adlers
ich irgendeine Gefahr für die Nachschublinien der Legionen erkenne.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Herr?« Cato schüttelte den Kopf. »Annektierung? Das würden die Atrebates niemals dulden.«
»Wer sagt denn, dass wir ihnen in dieser Frage die Wahl lassen?«, gab Quintillus kalt zurück. »Solange sie so vernünftig sind, zu tun, was wir wollen, können sie ihren König behalten. Doch wenn sie unsere Interessen in irgendeiner Weise gefährden, werde ich zum Handeln gezwungen sein. Dann wird die Zweite Legion nach Calleva zurückbeordert, um meine Befehle durchzusetzen. Die Eingeborenen und ihr Gebiet fallen unmittelbar unter römische Herrschaft; das Königreich der Atrebates wird ausgelöscht.«
»Nein«, murmelte Macro. »Eher würden sie sterben.«
»Unsinn! Sei nicht so melodramatisch, Zenturio. Sie werden alles tun, um zu überleben, wie jeder, der nicht die Macht hat, den Lauf der Dinge zu ändern. Inzwischen müssten sie schon eine recht gute Vorstellung davon haben, zu welchem Preis man Rom herausfordert.« In den Augen des Tribuns glomm skrupelloser Ehrgeiz. »Wer es noch nicht weiß, dem werde ich es beibringen.«
»Falls es so weit kommt«, wandte Cato ein.
»Ja.« Der Tribun nickte. »Falls es so weit kommt.«
Cato machte der Gedanke an die Verwegenheit des Schlags, den der Tribun da erwog, schwindlig. Er konnte sich die Reaktion des stolzen, leicht zu kränkenden Artax mühelos vorstellen. Die von Tincommius ebenso. Vielleicht würde selbst der demütige Bedriacus die willkürliche Durchsetzung unmittelbarer römischen Herrschaft übelnehmen. Cato hatte das Gefühl, diesen Menschen in den letzten Monaten ein wenig näher gekommen zu sein. So, wie er einiges von ihrer Sprache gelernt hatte, hatte er auch ihre Kultur ein wenig verstanden und sie sogar in vieler Hinsicht achten gelernt. Diese Briten besaßen eine innere Aufrichtigkeit, die den Völkern, die seit vielen Jahren im Schatten des Adlers lebten, inzwischen abging. In Gallien hatte Cato gesehen, in welchem Ausmaß man die eroberten Gebiete in eine schlechte Kopie Italiens mit seinen riesigen Herrengütern verwandelt hatte. Generationen von Eingeborenen hatten ihr angestammtes Land verloren und bearbeiteten nun dieselben Felder für einen Hungerlohn. Wo die Güter von Kettensklaven bestellt wurden, waren die Nachfahren der einst so stolzen Stämme, die beinahe Cäsar selbst besiegt hätten, gezwungen, sich Arbeit in den kleinen Manufakturen zu suchen, die überall im Umkreis der neuen, aus dem Boden gestampften römischen Städte entstanden.
Unabhängig von den strategischen Notwendigkeiten der gegenwärtigen Lage war Cato überzeugt, dass die Atrebates etwas Besseres verdient hatten. Tapfere Männer hatten ihr Blut vergossen, um die Nachschublinien der Legionen zu verteidigen. Er hatte sie sterben sehen. Gewiss, sie hatten gleichzeitig sich selbst gegen ihre kriegerischen Nachbarn verteidigt, doch was ihn wirklich beeindruckt hatte, war der gegenseitige Respekt und, so wagte er sich einzugestehen, die Zuneigung, die ein Band zwischen den atrebatischen Kriegern und ihren Ausbildern von der Zweiten Legion geschaffen hatte. Insbesondere Figulus, der mit ihrer Sprache vertraut war und, sobald er die Uniform ablegte, Zoll für Zoll wie ein echter Kelte aussah.
Durchs geöffnete Fenster von Macros Schreibstube waren die lauten Rufe auf dem Exerzierplatz deutlich zu hören, und Cato erschrak, wie plötzlich so viel gute Arbeit durch rohe Machtspiele bedroht werden konnte. Die Spannungen nach Vericas Bankett würden irgendwann nachlassen und die Spaltung des Stammes würde heilen. Was Quintillus dagegen vorschlug, würde mit ganz wenigen Ausnahmen die Atrebates gegen Rom vereinen. Es wäre Wahnsinn, und das musste er dem Tribun klarmachen.
»Herr, wir haben hier zwei gute Kriegerkohorten. Sie kämpfen ausgezeichnet, und zwar Seite an Seite mit Rom, weil sie uns für Freunde und nicht für Unterdrücker halten. Zu gegebener Zeit wird man vielleicht gestatten, dass sie als reguläre Hilfstruppen dienen, und wo sie vorangehen, werden andere Stammesangehörige folgen. All das ginge verloren, wenn du ihr Königreich zur Provinz degradiertest. Schlimmer noch, sie würden sich wie ein Mann gegen uns kehren … Ich bezweifle, dass der General das billigen würde. «
Quintillus sah ihn einen Moment lang verärgert an, doch dann lösten sich seine Züge und er lächelte. »Da hast du natürlich Recht. Wir dürfen diese Chance, die ihr beide
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