Catpower: Das ultimative Körperbuch (German Edition)
die Schultern nach hinten, ruck, schnellt das Becken nach vorn, ruck, knalle ich rücklings ins Wasser, ruck, Segel obendrauf. »Schatz, was hast du denn gemacht?«, ruft der Ehemann, der gerade gewendet hat und wieder an mir vorbeisegelt, »brauchst du Hilfe?«
Mit der Eleganz eines Nilpferds wuchte ich mich wieder auf das Brett, angle mit dem Seil das Segel, versuche, aus dem Zickzack meines Körpers irgendetwas Aufrechtes zu basteln, das wenigstens entfernt daran erinnert, dass ich zur gleichen Spezies gehöre wie der Mann, der mich gerade wieder kreuzt. »Schau, mach das doch einfach so wie ich. Füße fest und Scheitel...« Den Rest schluckt das Windchen, schwups, diesmal köpfle ich vorwärts ins Wasser, über das Segel hinaus. Nilpferd wieder aufs Brett, Ehemann mit besten Ratschlägen links und rechts und vorne und hinten an mir vorbei, als hätte er nie etwas anderes gemacht, dabei steht er heute zum ersten Mal auf einem Surfbrett, genau wie ich. Füße verankern, Hintern einziehen, Bauch einziehen, Schultern entspannen, platsch, Nilpferd aufs Brett. Immer mehr blaue Flecken, violette Flecken, Fingernägel ab, Zeh verstaucht. Ich lege mich aufs Brett und paddle an den Strand, schenke dem Ehemann die gebuchten Stunden und melde mich für den Tauchkurs an, da kann keiner sehen, was für ein Bewegungsidiot ich bin.
Im Tauchkurs hatte ich natürlich die Sauerstoffflasche als Erste leer, weil ich so rumzappelte. Ich machte blutige Bekanntschaft mit Feuerkorallen. (Ich sah allerdings auch als Erste den sehr seltenen Tigerhai, perfekt getarnt im Sand, denn beobachten, das kann ich.)
Als Kind war das nicht anders. Auf den Skiern schämte ich mich so, dass ich mich in Nasenbluten flüchtete, um von den Schulkameraden nicht für meine Plumpheit ausgelacht zu werden. Vor dem Schulturnen konnte ich mich dank meiner Skoliose drücken, traurig beobachtete ich die anderen Kinder, wie sie Räder schlugen, an Ringen und auf Barren herumturnten. Beim Gummitwist auf dem Pausenplatz flog ich als Erste raus. Ein einfacher Purzelbaum in Nachbars Garten ging knapp an einem Genickbruch vorbei. Also zog ich mich zurück. In mich und in Tagträume, in Lesebücher und Schreibhefte. Die Emigration nach innen gelang ganz gut, »du bist halt die Intellektuelle«, hieß es immer öfter.
Dabei sehnte ich mich so nach Körper, nach Leichtigkeit, nach Geschmeidigkeit und Kraft. Ich konstruierte aus mir eine Mogelpackung, die auf sexy und körperlich machte und hinter der Fassade nur litt. Ich nahm meine Wirbelsäulenverkrümmung persönlich, hielt sie für eine Strafe Gottes, und Gottesstrafen, das war mir mit meiner erzkatholischen Erziehung klar, waren immer gerecht. Und ich schämte mich für die Gottesstrafe.
Die Skoliose wurde festgestellt, als ich sechs Jahre alt war. Fortan hörte ich ständig: »Das kannst du nicht, dein Rücken ist nicht gesund.« Ich ging in die Falle, mit 18 war ich überzeugt: »Ich kann das nicht, ich bin nicht gesund.« Ich war mir sicher, dass ich mit der Skoliose und all ihren Folgeschäden würde leben müssen: Rückenschmerzen, Hüftgelenksarthrose, Kiefergelenksarthrose, Zähneknirschen, Spannungskopfschmerzen, Hallux-valgus-Bildung an den Füßen. Und unförmig sah das alles auch noch aus: Kopf schief, Mund schief, Nase schief, Rücken bucklig, Reiterhosen an den Oberschenkeln, Hintern zu groß und zu schlaff, Brüste ungleich groß...
Ich suchte Hilfe, gegen die Schmerzen, in der Sprachschule, in der Schauspielschule, in Psychodrama, beim Psychologen, Astrologen, im Krafttraining, im Samadhi-Tank, in Yoga, Feldenkrais-Methode, Alexander-Technik, Rolfing, in Meditation und Homöopathie, in Physiotherapie und Chiropraktik, in Akupunktur und Ultraschall, Neuraltherapie und Hypnose... (Weil oft die Frage kommt, was mich denn für meine Körperarbeit inspiriert habe: das alles. Alles, was ich erlebt habe.) Einige Therapien brachten kurzfristig Linderung, nichts half nachhaltig. Mein Körper war mein Gefängnis. Ich wachte mit Schmerzen auf, ich schlief mit Schmerzen ein. Der Schlaf dazwischen war die schmerzfreie Insel.
Mit 41 holte ich mir beim Umzug von München nach Zürich eine Kreuzbeinfraktur, einen haarfeinen Spalt innerhalb des rechten Kreuzbeins. Ich tat mit meinem Körper, was wir alle in solchen Situationen versuchen: kompensieren. Den Körper noch mehr verbiegen, um dem Schmerz auszuweichen. Doch der ließ sich nicht übertölpeln. »Endlich operieren oder für den Rest Ihrer Tage
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