Catriona
Momenten der Depression. Zuzeiten konnte er das schweigsamste, liebevollste, anschmiegsamste Geschöpf von der Welt sein; dann hielt er wie ein großes Kind Catrionas Hand in der seinen und bettelte, ich solle ihn doch nicht verlassen, wenn ich überhaupt irgendwelche Zuneigung für ihn empfände. Das tat ich nun freilich nicht, hatte dafür aber eine um so stärkere Zuneigung zu seiner Tochter. Er bat, ja flehte, wir möchten ihn doch mit Gesprächen unterhalten, was bei den zwischen uns herrschenden Beziehungen sehr schwierig war, und zuletzt brach er in jämmerliche Klagen um sein Land und seine Freunde oder in irgendein gälisches Lied aus. »Das hier ist eine der melancholischen Weisen meiner Heimat«, pflegte er zu sagen. »Ihr findet es vielleicht seltsam, einen Soldaten weinen zu sehen, und es heißt auch wirklich, Euch eng in mein Vertrauen ziehen. Aber die Musik dieses Liedes ist mir ins Blut übergegangen, und die Worte kommen aus meinem Herzen. Wenn ich an meine roten Berge und an die Wildvögel denke, die dort rufen, und an die stolzen Flüsse, die die Hänge hinuntereilen, so kann ich mich nicht einmal vor meinen Feinden dieser Tränen schämen«. Dann hub er von neuem zu singen an und übersetzte mir Bruchstücke aus dem betreffenden Liede, stotternd und stolpernd und die nachdrücklichste Verachtung für die englische Sprache bezeugend. »An dieser Stelle heißt es, daß die Sonne untergegangen und die Schlacht vorüber ist, und daß die tapferen Häuptlinge alle besiegt sind. Und dann heißt es, daß die Sterne sie in fremde Länder fliehen sehen oder auf sie niederblicken, wie sie tot auf dem roten Berge liegen; und niemals wieder werden sie den Kriegsruf erschallen lassen und ihre Füße in den Flüssen des Tales waschen. Ach, verstündet Ihr nur etwas von jener Sprache, Ihr würdet gleich mir weinen, weil die Worte über jede Wiedergabe erhaben sind und es der reinste Hohn ist, sie Euch auf englisch zu sagen.« Nun, mich dünkte, die ganze Sache entbehrte nicht des Hohnes, so oder so; und doch war einiges echt daran, aus welchem Grunde ich ihn, glaube ich, am meisten haßte. Es schnitt mir ins Herz, Catrionas große Sorge um den alten Gauner zu sehen und zu wissen, daß sie sich um seiner Tränen willen in den Schlaf weinte, da ich überzeugt war, daß die Hälfte seines Kummers vornächtlichen Zechereien in irgendeiner Kneipe entsprang. Manchmal fühlte ich mich versucht, ihm eine runde Summe auszuhändigen und ihn ein für alle mal los zu sein; aber das hätte bedeutet, daß ich auch Catriona losgeworden wäre, wozu ich schwerlich so bereit war. Außerdem ging es gegen mein Gewissen, mein gutes Geld an jemanden zu verschwenden, der so wenig damit umzugehen wußte.
Zu Zweit
Ich glaube, es war am fünften Tage – genau weiß ich, daß James an einer seiner Depressionen litt – als ich drei Briefe erhielt. Der erste war von Alan und enthielt die Frage, ob er mich in Leyden besuchen dürfe; die beiden anderen kamen aus Schottland, beide aus dem gleichen Anlaß. Diesen Anlaß bildeten der Tod meines Onkels und mein endgültiger Eintritt in alle meine Rechte. Rankeillors Schreiben bezog sich natürlich ausschließlich auf geschäftliche Dinge; das von Miß Grant war ganz sie selbst, mehr witzig denn weise, voller Vorwürfe wegen meines Schweigens (was hätte ich ihr nur schreiben sollen, bei den Nachrichten, die es zu vermelden gab?) und voller Neckereien über Catriona, die mich, zumal ich den Brief in ihrer Gegenwart las, bis ins Herz trafen. Denn selbstverständlich hatte ich die Briefe in meiner eigentlichen Wohnung vorgefunden, als ich zum Essen dorthin kam; so entfuhren mir meine Neuigkeiten im nämlichen Augenblick, da ich sie las. Sie boten uns alle drei eine willkommene Ablenkung, ohne daß einer von uns die daraus entstehenden schlimmen Folgen geahnt hätte. Der Zufall hatte es so gefügt, daß alle drei Briefe am gleichen Tage eintrafen, und daß sie mir überreicht wurden, als James More im Zimmer war. Von all den Ereignissen, die diesem Zufall entsprangen und die ich hätte verhüten können, hätte ich nur meinen Mund gehalten, kann man daher mit Recht sagen, daß sie vorherbestimmt waren, noch ehe Agricola nach Schottland kam oder Abraham seine Reise antrat. Selbstverständlich öffnete ich als ersten Alans Brief; was war da natürlicher, als daß ich ein Wort über seine Absicht, mich zu besuchen, fallen ließ? Sogleich bemerkte ich, daß James sich gespannt und aufmerksam
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