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Catriona

Catriona

Titel: Catriona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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ihr Gesicht flammte auf, aber das Blut schoß ihr nicht eiliger in die Wangen, als es mir bei ihrem Anblick vor Reue und Kummer aus dem eigenen Herzen wich. Ich fand keine Worte zu meiner Entschuldigung, verneigte mich nur ungemein tief und ging meiner Wege aus dem Hause, den Tod im Busen. Ich glaube, es folgten fünf Tage ohne jede Veränderung. Ich sah sie kaum außerhalb der Mahlzeiten und selbst dann natürlich nur in Gegenwart von James More. Waren wir auch nur einen Augenblick allein, so machte ich es mir zur Pflicht, mich gleichzeitig zurückhaltender denn je zu zeigen und meine höfliche Aufmerksamkeit zu vertausendfachen. Dabei stand mir ständig das Bild des scheu zurückweichenden, schamübergossenen Mädchens vor Augen, und ich empfand in meinem Herzen mehr Mitleid, als ich in Worten ausdrücken kann. Ich selber tat mir auch leid genug, das brauche ich kaum zu sagen – in wenigen Sekunden war ich kopfüber aus allen Himmeln gestürzt; aber wahrhaftig, das Mädchen tat mir fast ebenso leid, zum mindesten leid genug, um zu verhindern, daß ich, außer in wenigen heftigen Momenten, auf sie böse war. Ihre Entschuldigung war wirklich stichhaltig: sie war ja nur ein Kind; man hatte sie in eine schiefe Stellung gebracht; hatte sie sich wirklich in mir und in sich selbst getäuscht, so war das nicht mehr, als man hätte erwarten können. Außerdem war sie jetzt fast ständig allein. Ihr Vater zeigte sich, solange er in ihrer Nähe war, als zärtlicher Vater; aber Geschäfte und Vergnügungen vermochten ihn leicht abzulenken; dann vernachlässigte er das Mädchen ohne weitere Worte oder Zeichen von Reue, verbrachte die Nächte im Wirtshaus – vorausgesetzt, daß er Geld hatte, und das trat häufiger ein, als ich es zu erklären vermochte – und versäumte es in diesen Tagen sogar das eine Mal zum Essen zu erscheinen, so daß Catriona und ich schließlich gezwungen waren, ohne ihn zu speisen. Es war eine Abendmahlzeit, und ich verabschiedete mich, sobald ich gegessen hatte, mit der Bemerkung, sie zöge es vermutlich vor, allein zu sein. Sie stimmte zu, und – sonderbar – ich glaubte es ihr. Ja, ich glaubte, mein Anblick müsse dem Mädchen schmerzlich sein, da er sie an eine momentane Schwäche erinnerte, die sie jetzt verabscheute. So mußte sie ganz allein in dem Zimmer sitzen, wo sie und ich so fröhlich gewesen waren, im Schein jenes Kamins, der so manchen schwierigen und zärtlichen Augenblick bestrahlt hatte. Dort saß sie allein und hielt sich für ein Mädchen, das auf unmädchenhafte Art ihre Liebe angeboten und zurückgewiesen gesehen hätte. Inzwischen saß ich allein an einem andern Ort und hielt mir selbst Strafpredigten (wann immer ich den Zorn in mir aufwallen fühlte) über menschliche Schwäche und weibliche Empfindlichkeit. Und im Großen und Ganzen glaube ich: niemals haben zwei arme Narren sich aus einem größeren Mißverständnis unglücklich gemacht.
    Was nun James anbetraf, so schenkte er uns geringere Aufmerksamkeit als seinen eigenen prahlerischen Reden und allen Fragen seines Beutels und seines Magens. Noch vor Ablauf von zwölf Stunden hatte er sich von mir eine kleine Summe Geldes geliehen, noch vor Ablauf von dreißig um eine zweite gebeten und eine Weigerung erhalten. Geld wie Korb nahm er mit der gleichen liebenswürdigen Gutmütigkeit entgegen. Ja, nach außen hin trug er eine Noblesse zur Schau, durchaus geeignet, eine Tochter zu blenden; das Licht, in das er sich durch seine Reden zu stellen pflegte, sowie des Mannes schönes Äußere und Grandseigneurmanieren paßten vortrefflich zueinander. Wer also nichts mit ihm zu tun hatte und entweder geringen Scharfblick oder ein Übermaß von Voreingenommenheit besaß, hätte sich fast düpieren lassen können. Für mich war er nach unseren ersten beiden Unterredungen so klar wie die Lettern eines Buches; ich durchschaute ihn als einen durch und durch egoistischen Menschen, ohne die leiseste Erkenntnis seiner Selbstsucht, und lauschte seinen Aufschneidereien (über seine »Waffen«, über die Tatsache, daß er »ein alter Soldat« und »ein armer Hochlands-Gentleman« sei, und über die »Macht« seines »Vaterlandes« und seiner »Freunde«), wie man dem leeren Geplapper eines Papageien lauscht.
    Das Seltsame an der Sache war, daß er, glaube ich, jedesmal, oder doch mitunter, einen Teil dieser Dinge selbst glaubte; ich vermute, er war so bis in die Wurzeln falsch, daß er kaum wußte, wann er log; aufrichtig war er nur in seinen

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