Caylebs Plan - 6
erst, als ich beschloss, Cayleb zu heiraten und mich der Kirche entgegenzustellen. Mein Onkel wurde auf die Probe gestellt und hat seine Wahl getroffen. Niemand sonst hat ihn dazu gezwungen. Eurem eigenen Bericht nach, Merlin, muss er derjenige gewesen sein, der sich von sich aus an die Tempelgetreuen gewandt hat, und nicht etwa anders herum. Welche Motive er nun gehabt hat, was an Rechtfertigungen er glaubte vorbringen zu können, er war ein Hochverräter ... und ich stand ihm im Weg.«
»Glaub mir«, sagte nun Cayleb, »ich kann aus eigener Erfahrung nachfühlen, was du durchmachst! Aber wenigstens hat er darauf bestanden, dass du nicht getötet wirst. Mein Vetter hatte sich fest vorgenommen, mich ermorden zu lassen.«
»Ich wünschte fast, es wäre bei meinem Onkel auch so gewesen«, seufzte Sharleyan. »Dann wäre ich, was ihn betrifft, wenigstens dieses ... Hin- und Hergerissensein los!«
»Das hilft auch nicht, glaub mir«, sagte Cayleb wehmütig. »Zumindest nicht sonderlich. Und nach so einer Erfahrung dauert es lange, bis man wieder lernt, jemandem zu vertrauen.«
»Nein«, widersprach Sharleyan, und Cayleb blickte sie erstaunt an. »So ist das bei mir nicht, Cayleb«, versuchte sie zu erklären. »Schon seit ich ein Kind war, musste ich kämpfen, wollte ich den Thron behalten. Ich habe rasch gelernt, dass es Menschen gibt, denen man vertrauen kann, auch wenn das für andere eben nicht gilt. Ich habe auch gelernt, dass die, denen man nicht vertrauen darf, nicht etwa böse Menschen wären oder von Natur aus verräterisch. Es ist vielmehr so, dass gute Menschen durch widerstreitende Loyalitäten zu weit getrieben werden können. Verrat bleibt zwar dennoch Verrat, aber auf diese Weise versteht man wenigstens, wie es dazu kommen musste.«
»Und der Widerstreit der Loyalitäten wird umso heftiger, wenn der Glaube dabei eine Rolle spielt«, pflichtete Merlin ihr bei.
»Ich weiß.« Nachdenklich verlor sich Sharleyans Blick eine Weile lang in der Ferne. Dann aber überraschte sie alle anderen Anwesenden mit einem plötzlichen Lächeln.
»Eure Durchlaucht?«, erkundigte sich Merlin.
»Ich bin gerade zu der Erkenntnis gelangt, es könnte langsam wirklich hilfreich sein, mir Notizen darüber zu machen, wer hier eigentlich was weiß und glaubt und glaubt zu wissen«, erklärte sie. »Ich für meinen Teil habe bisher immer geglaubt, Nahrmahn Baytz dürfe dem ›Inneren Kreis‹ noch nicht einmal nahe kommen!«
»Ich glaube, er hatte eine Gewissenskrise«, bemerkte Merlin lakonisch.
»Unfug!«, schnaubte Cayleb. »Die Antwort ist deutlich einfacher, Merlin! Wie Ihr selbst immer wieder betont, ist Nahrmahn ein kluger und gerissener Mann. Sein Fürstentum, seine Familie und er sind in dieser Sache so richtig schön zwischen Baum und Borke gekommen. Nahrmahn musste eine Entscheidung treffen. Das tat er, und danach gab es für ihn kein Zurück mehr. Egal, was Nahrmahn alles noch einfiele, Clyntahn wird ihn auf keinen Fall mehr mit offenen Armen empfangen! Und das bedeutet, sein gesamter, beachtlicher Intellekt steht jetzt unserer Seite zur Verfügung.«
»Ich denke, ihr habt beide Recht«, sagte Sharleyan nachdenklich. »Ich weiß, wie sehr ich es verabscheut habe, gezwungen zu werden, mit Hektor zusammenzuarbeiten, und das auch noch bei einem Angriff auf ein Königreich, das mir oder den meinen noch nie etwas zuleide getan hat. Ich glaube, Nahrmahn erging es ganz ähnlich. Die Erkenntnis, nur noch nach Clyntahns Pfeife tanzen zu können, hat ihn, so will mir scheinen, dazu gebracht, den offenen Bruch mit der Kirche zu wagen.«
»Egal, was seine Motive sind, mit seiner Einschätzung der momentanen Lage liegt er meines Erachtens ganz richtig«, setzte Cayleb deutlich nüchterner hinzu, und Sharleyan nickte.
Kaum dass Nahrmahn die Sache mit Seijin Merlins ›Visionen‹ verdaut hatte - was wirklich erstaunlich schnell ging -, hatte er eine äußerst prägnante und präzise Empfehlung gegeben.
»Euer Majestät«, hatte er zu Cayleb gesagt, »das Einzige, was Ihr Euch unmöglich leisten könnt, und das aus vielen Gründen, die aufzuzählen zu lange dauerte, wäre, zu versuchen, Halbrook Hollows Anteil an der Verschwörung zu vertuschen. Es tut mir Leid, wenn das Ihrer Majestät, der Kaiserin, Schmerz zufügt, aber so ist es nun einmal. Zunächst, und das halte ich für das Wichtigste, werdet Ihr in aller Öffentlichkeit klären müssen, was mit ihm geschehen ist. Zweitens wird es von vordringlicher Bedeutung für
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