Caylebs Plan - 6
das Kaiserreich von hier aus allein regierst, weil wir ein Zeichen setzen wollten - und du sowieso hier warst. Wärst du in Chisholm gewesen, hätte ich die Regierungsgeschäfte für das Königreich Charis Rayjhis und Maikel übertragen. Außerdem setzt auch deine Rückkehr nach Chisholm ein Zeichen. Du beweist, dass du das Recht, den Intellekt und den Willen hast, eigenständig zu handeln, wenn es für uns beide schlichtweg unmöglich ist, alles abzusprechen. Damit eröffnen wir uns nur noch mehr Möglichkeiten, unabhängig voneinander Entscheidungen zu treffen.«
»Ich kann meinen beiden Vorrednern nur zustimmen, Durchlaucht«, war es nun an Merlin, etwas zu sagen. »Eine bessere Analyse der Lage weiß ich nicht zu geben. Was mir neben der Beinahe-Katastrophe in Sankt Agtha nur einmal mehr beweist, dass ich längst nicht so klug bin, wie ich immer gedacht habe.«
Nachdenklich schaute Sharleyan den hochgewachsenen, breitschultrigen Mann mit den Saphir-Augen an - diesen Mann, in dem sie immer noch nicht ganz eine Frau namens Nimue zu sehen vermochte. Sie wusste nicht viel über Merlin oder Nimue und hätte gern mehr über diese erschreckende, andersartige Welt erfahren, der Nimue entstammte. Doch schon jetzt wusste Sharleyan den Grund dafür, warum ihr Merlins Verhalten Cayleb oder ihr oder anderen Würdenträgern gegenüber so sonderbar vorgekommen war. Die Vertrautheit, die er sich beispielsweise ihr gegenüber herausnahm, hätte sich ein Seahamper trotz der Tatsache, seit der Kindheit seiner Kaiserin mit ihr auf vertrautem Fuß gestanden zu haben, nie erlaubt. Sharleyan kannte es nicht anders: Im Umgang mit hohen Würdenträgern schlug man in ganz Safehold einen ehrerbietigen Ton an. Die Würdenträger wiederum waren sich ihrer Rolle bewusst, wussten um ihre herausgehobene gesellschaftliche Stellung. Nimue Alban aber war in einer Welt aufgewachsen, in der es keine Könige mehr gab, keine Königinnen oder Kaiserinnen. Nimue selbst entstammt einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Familien ihrer Welt. Sie war immun gegen die unwillkürliche, anerzogene Ehrerbietung der Safeholdianer, ihrem sozialen Instinkt der Unterwerfung gegenüber. Das war der Grund, warum Merlin so selbstbewusst Vertrautheit lebte, die er sich erworben hatte, auch wenn er jemanden, Cayleb zum Beispiel, respektierte.
Wie aufschlussreich! Und wie aufschlussreich, dass Cayleb von eben diesem Mann, einem Gardisten, diese Ehrerbietung nicht erwartet! Dass er nicht beleidigt ist, wenn jemand sich ihm nicht gleich unterwirft, sagt viel über Cayleb und seine Erziehung aus, ging es Sharleyan durch den Kopf.
»Ich habe schon immer gewusst, dass Ihr nicht so klug seid, wie Ihr immer dachtet«, stichelte Cayleb und grinste Merlin breit an. »Aber was hat Euch auf dieses eher unwichtige Detail aufmerksam gemacht?«
»Nun, Hoheit«, erwiderte Merlin und lächelte sanft, »ich hätte Ihre Durchlaucht vor diesem Mordanschlag warnen können, wenn ich ihr nur einen Kommunikator überlassen hätte. Und wenn ich das getan hätte ...«, abrupt verschwand das Lächeln von seinem Gesicht, »hätte von ihren Männern keiner sterben müssen.«
»Nicht, Merlin!« Kopfschüttelnd blickte Sharleyan ihn an. »Es ging doch gar nicht! Ihr hättet mir doch erst all Eure Geheimnisse anvertrauen müssen - und es nebenbei bemerkt der Bruderschaft von Sankt Zherneau wegen gar nicht gedurft -, ehe Ihr mir diesen, diesen ... Kommunikator, oder wie das heißt, hättet geben können - was ist das überhaupt?«
»Habt Dank, denn Ihr seid mir gegenüber gnädiger, als ich es verdiene«, gab Merlin zurück. »Wie dem auch sei: Das hier ist ein Kommunikator.«
Er griff in seine Gürteltasche und zog ein Gerät hervor, kleiner als Sharleyans Handfläche. Es bestand aus einem ihre unbekannten harten, glänzend-schwarzen Material. Merlin berührte er das Gerät, und eine Klappe sprang auf. Winzige Lichtpunkte unterhalb eines rechteckigen Feldes, das aussah, als bestehe es aus Milchglas, erwachten zum Leben. Sharleyan riss die Augen auf, und dann japste sie begeistert auf, als diese ›Milchglasscheibe‹ plötzlich ebenfalls zum Leben erwachte, gleichsam eine magische Schiefertafel, auf der nun schimmernde Buchstaben erschienen.
»Das, Durchlaucht, nennt man einen ›Sicherheits-Kommunikator‹«, erklärte der Seijin. »Ich werde jetzt nicht versuchen, Euch zu erklären, wie er funktioniert. Um ehrlich zu sein: Die meisten Menschen, die ich in der Zeit gekannt habe, als
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