Caylebs Plan - 6
mich also überhaupt noch auf dem Thron lässt, wird das zu Bedingungen sein, die mich kaum besser dastehen lassen als einen Gefangenen.
Aber sehen Sie: Er mag Corisande erobern, er mag es seinem Kaiserreich einverleiben, aber der Kirche muss er sich immer noch entgegenstellen! Im Augenblick ist er vor ihr sicher - noch hat die Kirche ihre neue Flotte nicht. Aber das wird eines Tages anders sein. Die Flotte zu bauen, ist Zeit genug. Schließlich ist es völlig ausgeschlossen, dass Cayleb Howard und Haven einnimmt! Und wenn die Kirche ihre neue Flotte erst einmal hat, wird es keine unausgewogenen Schlachten wie die im Darcos-Sund mehr geben. Also wird unser geschätzter Freund Cayleb eines Tages feststellen müssen, dass er um das eigene Überleben kämpft, und das mit jedem Mann und jedem Schiff - mit allem, was sich nur auftreiben lässt. Es wird dauern, bis es soweit ist, aber - wie gesagt - es wird geschehen, Taryl! Und wenn es so weit ist, wenn er gezwungen ist, jede einzelne Garnison, die er in Corisande zu halten gedacht hatte, deutlich zu verkleinern, wenn seine Aufmerksamkeit ganz einer tödlichen Bedrohung aus einer anderen Richtung gilt, dann - dann, Taryl! -, wird seine Vorsicht hier nachlassen! Es kann gar nicht anders sein. Und wenn die Zeit kommt, egal, wie lange es auch dauert: Ich werde bereit sein!«
Tartarian blickte seinem Prinzen in die harten, hasserfüllten Augen. Er erkannte die wilde Entschlossenheit, die in jener unergründlichen Tiefe schwärte. Hätte Cayleb Ahrmahk sehen können, was sich Taryl Lektor hier darbot, hätte er sich niemals auf irgendetwas anderes eingelassen als darauf, sich Hektor Daykyns Kopf überreichen zu lassen.
Einen winzigen Moment lang ertappte sich Tartarian bei dem Wunsch, Cayleb zu dienen, nicht Hektor. Es war nicht Caylebs Machthunger gewesen, der Grund für die Feindschaft zwischen Corisande und Charis war. Die Art und Weise, in der Cayleb mit Nahrmahn Frieden geschlossen hatte, bewies eindeutig, dass der charisianische Kaiser bereit war, zumindest unter gewissen Umständen die Vergangenheit ruhen zu lassen. Tartarian zweifelte ernstlich daran, dass ein ehrlicher, aufrechter Mensch sich berechtigt über die Art und Weise beschweren könnte, in der Hektor von jeher über sein Volk geherrscht hatte. Skrupellos, das wohl, aber zugleich doch gerecht und erstaunlich aufrichtig. Wenn er sich doch nur damit zufrieden gegeben hätte, wenn er doch nur seinen gewaltigen Machthunger bezwungen und dem ›Großen Spiel‹ abgeschworen hätte ...!
Doch Tartarian ließ diesen Gedanken rasch wieder fallen. Was er sich wünschte, würde nichts an den realen Gegebenheiten ändern. Es spielte keine Rolle, wie Corisande in die momentane Lage geraten war: Tartarian war Corisandianer, kein Charisianer. Hektor war sein Prinz; Tartarian schuldete ihm Lehnstreue. Hektors Herrschaftsstil hatte dazu geführt, dass alle Corisandianer ihm beinahe ebenso willfährig zur Seite standen wie die Charisianer dem Hause Ahrmahk.
Vielleicht hat der Prinz ja Recht, dachte der Graf. Vielleicht wird Cayleb erkennen, dass das Volk treu zu Hektor steht. Vielleicht begreift er, welche katastrophalen Folgen es für ihn hätte, wenn er Hektor absetzt oder gar hinrichten lässt. Cayleb ist weiß Gott klug genug, das zu begreifen ... vorausgesetzt, er bringt es fertig, Hektor zumindest etwas weniger zu hassen als Hektor im Umkehrzug ihn.
Noch einmal dachte Tartarian an die Kapitulationsbedingungen, die Cayleb Nahrmahn angeboten hatte. Er beschloss, einfach das Beste zu hoffen.
.II.
Ein Lagerhaus, Manchyr,
Corisande-Bund
»Er hat einen Herold zu Cayleb geschickt.«
»Sind Sie sicher?«, fragte Pater Aidryn Waimyn sofort nach, in deutlich schärferem Tonfall, als er das eigentlich beabsichtigt hatte.
»Selbstverständlich bin ich sicher!« Sein Gegenüber trug den bestickten Kasack eines niederen Hoffunktionärs oder eines Angehörigen des niederen Adels; seine Stimme klang sehr beißend. »Ihr denkt doch wohl nicht, ich wäre jetzt hier und würde dieses Gespräch mit Euch führen, wenn es anders wäre, oder?«, setzte er nach, und seine Miene wirkte äußerst angespannt.
»Natürlich nicht.« Wie zur Entschuldigung schüttelte Waimyn den Kopf. Dann blickte er sich in dem staubigen Arbeitszimmer um. Es befand sich in einem der zahlreichen Lagerhäuser, die seit der charisianischen Blockade Manchyrs praktisch verwaist waren. Waimyns Blick wanderte scheinbar ziellos weiter. Falls er nach etwas
Weitere Kostenlose Bücher