Caylebs Plan - 6
niedergeschlagen gewesen, vor allem, seit Koryn Gahrvais Armee kapituliert hatte. Naja, das war ja nun kaum überraschend! Nicht einmal ein verzogener, ständig nur mit sich selbst beschäftigter, bockiger Prinz, der gerade sechzehn Jahre alt geworden war, konnte gänzlich die Gefahr ignorieren, in der er von nun an in der Hauptstadt schwebte. Manchmal mochte das sogar sein Gutes haben: Vielleicht brachte das besagten verzogenen, egozentrischen Prinzen ja dazu, sich tatsächlich um seine Pflichten zu kümmern. Bedauerlicherweise schien der junge Hektor vor allem verärgert und unglücklich, wenn jemand ihn dazu aufforderte, sich in irgendeiner Weise anzustrengen.
Da bist du ihm gegenüber ungerecht, sagte ein enttäuschter Vater zu sich selbst. Er wandte den Blick wieder die breite Prachtstraße hinab, die zur Werft der Flotte führte. Genau das würde Irys dir jetzt sagen ... und vielleicht hätte sie sogar Recht. Wenn ein Schwert nicht richtig gehärtet wurde, darf man dann dem Schwert die Schuld geben ... oder doch eher dem Schmied?
Er wusste selbst nicht, wie er diese Frage beantworten sollte. Lag die Schuld bei ihm? Hatte er die Erziehung seines Sohnes irgendwie falsch angepackt? Oder lag es doch tatsächlich an dem Jungen selbst? Fehlte ihm irgendetwas, etwas Entscheidendes, was ihm keine noch so gute Erziehung wie Zauberei würde einimpfen können?
Gelegentlich kam Prinz Hektor zu dem Schluss, die Schuld liege tatsächlich bei ihm. Doch dann schaute er sich zum Vergleich einfach Irys und Daivyn an. Was auch immer es nun sein mochte, das Hektor fehlte: Sowohl seine ältere Schwester als auch sein jüngerer Brüder schienen es in mehr als ausreichendem Maße zu besitzen. Ihm, ihrem Vater, war es also gelungen, sie so zu erziehen, dass er, der Prinz, sie sich als Nachfolger auf dem Thron von Corisande vorstellen konnte. Was also war in Hektors Fall dann so furchtbar falsch gelaufen, das ausgerechnet das Kind, das eines Tages sein Erbe antreten würde, sich so gänzlich anders entwickelt hatte?
Weiß er vielleicht, dass du ihn nicht so sehr liebst wie Irys? Liegt es daran? Aber du hast doch dein Bestes gegeben! Diese Enttäuschung über ihn macht es dir so schwer, ihn zu lieben. Und enttäuscht hat er dich das erste Mal, da war er ... wie alt? Zehn oder elf?
Als Vater fiel ihm das Eingeständnis schwer, gar nicht mehr zu wissen, ob er seinen Sohn überhaupt noch liebte. Aber er war eben nicht nur ein Vater. Er war zugleich auch Regent eines Landes, ein Herrscher, und es war die Aufgabe eines Herrschers, einen angemessenen Nachfolger auszubilden. Er musste zuversichtlich sein können, dass die Regentschaft jemandem zufiele, der darauf vorbereitet war, diese Bürde auch zu tragen. In Hektors Fall konnte sich diese Zuversicht nicht entwickeln. Denn die völlig natürliche Enttäuschung eines Vaters vereinigte sich hier mit dem Wissen eines Regenten, sein designierter Erbe sei schlichtweg ungeeignet, diese Aufgabe zu übernehmen. Ärger und Sorgen aber vergifteten nur allzu leicht die Zuneigung eines Vaters zu seinem Kind.
Darum brauche ich mir im Augenblick keine Sorgen zu machen, sagte sich Hektor entschlossen. Es gibt so viele andere Dinge, um die ich mich im Moment kümmern muss. Wenn ich Cayleb nicht irgendwie überzeugen kann, es sei gefährlicher, mich zu beseitigen, als mich auf dem Thron zu belassen, wird es nicht mehr von Bedeutung sein, ob Hektor der Jüngere einen fähigen Nachfolger abgegeben hätte. Denn in diesem Fall wird er eine Gelegenheit dazu niemals erhalten.
Natürlich nicht, setzte eine andere Stimme in seinem Hinterkopf hinzu. Und wie oft hast du in der Vergangenheit die Entschuldigung ›es gibt im Augenblick andere Dinge‹ genutzt, um dich nicht darum zu kümmern?
Gequält verzog der Prinz von Corisande das Gesicht und spürte deutlich, wie seine Freude über die Morgensonne, die Brise und die frische, salzige Luft sich verflüchtigte. Es lag hauptsächlich daran, dass diese nörgelnde Stimme in seinem Hinterkopf Recht hatte. Er musste sich ›darum kümmern‹. Es fiel ihm natürlich leichter, sich das selbst gegenüber einzugestehen, als sich zu überlegen, wie genau er dabei vorgehen sollte. Aber es gingen so viele Dinge damit einher, ein Regent zu sein - oder auch ein Vater -, die ebenso wichtig wie unschön waren, und ...
Dieses Mal war alles besser vorbereitet. Es waren nicht nur zwei Armbrustschützen, es waren zwölf, und keiner von Hektors Gardisten bemerkte sie
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