Caylebs Plan - 6
rechtzeitig.
Vier Bolzen mit schweren Stahlspitzen trafen Prinz Hektor. Jede einzelne der Wunden wäre tödlich gewesen, und die Wucht des Aufpralls schleuderte den sterbenden Prinzen mit der Gewalt eines Hammers aus dem Sattel. Hektor war, als hätten ihn glühende Dornen in Brust und Bauch getroffen. Er würde fallen, fallen und immer tiefer fallen ... kopfüber einen tiefen Tunnel hinein. Dann, ganz plötzlich, als er wider Erwarten doch auf dem Boden aufschlug, überwältigten ihn die Schmerzen. Er brüllte auf, und die Zeit verging wieder normal. Heißes Blut strömte aus seinen Wunden, durchweichte seinen Kasack und sein Universum aus Schmerz - die Erkenntnis traf ihn wie ein Hammerschlag, dass der Tod nun doch noch gekommen war, um ihn zu holen.
So entsetzlich die Qualen im Angesichts des Todes auch waren, er bemerkte sie kaum angesichts einer Agonie, die weit tiefer ging, als Schmerzen des Fleisches es konnten.
Im Fallen noch zuckte sein Blick zu Reiter und Pferd gleich hinter ihm. Was Hektor dazu brachte, laut aufzubrüllen, als er auf dem Boden aufschlug, war nicht sein eigener qualvoll schmerzender, sterbender Körper. Nein, es war ein tieferer, ungleich entsetzlicherer Schmerz, der ihn zerriss, als er die drei Armbrustbolzen sah, die in der Brust des Kronprinzen von Corisande steckten. Zu spät, viel zu spät, begriff Hektor, dass er seinen Sohn doch liebte - und ihn immer geliebt hatte.
.IV.
Kaiser Caylebs Kommandozelt,
Feldlager-Hauptquartier,
Herzogtum Manchyr, Corisande-Bund
»Mein Gott, Merlin! Seid Ihr sicher, dass sie beide tot sind?«
»Ja, das bin ich«, erwiderte Merlin. Cayleb ließ sich in den Klappstuhl sinken und schüttelte den Kopf, während er versuchte, mit dieser jüngsten, katastrophalen Entwicklung zurechtzukommen. Vögel sangen und Wyvern pfiffen leise an diesem heißen, sonnigen Nachmittag, und die gedämpften Laute eines Militärlagers schienen das Kommandozelt mit einer schützenden Hülle zu umgeben.
»Wie ist das passiert? Wer ist dafür verantwortlich?«, fragte der Kaiser nach kurzem Schweigen.
»Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wer dafür verantwortlich ist«, gestand Merlin. »Aber ich vermute, dass Waimyn dahinter steckt.«
»Der Intendant?« Cayleb legte die Stirn in Falten. »Warum sollte die Kirche den Mann ermorden, der gegen die ›abtrünnigen Ketzer‹ kämpft? Ich meine ... oh!«
Der Kaiser verzog das Gesicht.
»Es ist erstaunlich, wie schiere Überraschung einen davon abhalten kann, klar zu denken, nicht wahr?«, sagte er bitter. »Natürlich will die Kirche - oder wahrscheinlich eher Clyntahn - ihn tot wissen. Er wollte gerade Kapitulationsbedingungen aushandeln, oder nicht?«
»Ganz genau.« Grimmig nickte Merlin. »Wahrscheinlich hat er sein eigenes Todesurteil unterschrieben, als er Euch den Herold schickte.«
»Die ›Vierer-Gruppe‹ konnte nicht zulassen, dass er die Seiten wechselt«, stimmte Cayleb ihm zu. »Nachdem Sharleyan und Nahrmahn genau das getan haben, waren sich Clyntahn und die anderen auch Hektors Treue nicht mehr sicher. Er hätte die Seiten gewechselt, ja ... zumindest wäre er lange genug an meiner Seite geblieben, um mir irgendwann ein Messer zwischen die Rippen zu rammen.«
»Ganz genau«, wiederholte Merlin. »Aber ...«
»Aber das ist nicht die einzige Wyvern, nach der die mit Steinen werfen«, fiel ihm Cayleb ins Wort. »Ach, glaubt mir, auch das verstehe ich, Merlin! Wir können nicht beweisen, dass Waimyn hinter diesem Attentat steckt. Noch weniger können wir beweisen, dass er auf direkten Befehl Clyntahns gehandelt hat. Also wer wird uns schon glauben? Vor allem, wenn die Kirche jetzt die Behauptung herausposaunt, ich hätte Hektor ermorden lassen, weil Hektor die ›wahre Kirche‹ unterstützt habe!«
»Und Nahrmahn, der erst Euren Vetter beim Anschlag auf Euch unterstützte, nun aber zum innersten Kreis Eurer Ratgeber gehört, passt da ganz wunderbar ins Bild!«, bemerkte Merlin. »Also wird Folgendes passieren: Die Kirche des Verheißenen wird uns das Attentat auf Hektor zuschreiben, und wenn wir dann mit der Geschichte von der Beteiligung Tempelgetreuer am Attentat auf Sharleyan aufwarten, wird es für die meisten Safeholdianer nicht mehr sein als genau das: eine Geschichte, erstunken und erlogen. Sie werden sagen, wahre Söhne der Kirche hätten so etwas doch niemals versucht, alles sei nur Erfindung, eine neuerliche List der Charisianer. Wir wollten mit dieser Geschichte zum einen nur decken, dass wir
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