Caylebs Plan - 6
Richtung, aus der immer wieder Gewehrschüsse zu hören waren. »Wie geplant haben unsere Vorposten auch ausreichend Abstand gehalten. Allzu viele Männer haben wir noch nicht verloren. Es hat zwar mehr als ein Dutzend Pferde erwischt, aber ich glaube, von den Männern sind nur zwo oder drei getroffen.«
»Gut!« Windshare schlug sich mit den Handschuhen, die er immer noch fest umklammerte, gegen den Oberschenkel. »Sehr gut, Naithyn!«
Der Graf saß auf und blickte seinen Stab an.
»Meine Herren, ich denke, es ist an der Zeit, diese Charisianer ein wenig zu entmutigen!«, verkündete er.
Merlin Athrawes ertappte sich bei einer hoffentlich lässlichen Sünde: Er hoffte, die Siegesgewissheit Brigadier Clareyks sei begründet.
Clareyks zwei vordersten Bataillone marschierten geradewegs auf Grüntal zu. Das waren das Erste unter Colonel Zhanstyn und Colonel Raizyngyrs Zwotes Bataillon, die gemeinsam das Erste Regiment der Dritten Brigade bildeten. Unter dem Klang der Dudelsäcke bewegten sie sich auf der Königlichen Landstraße im Gleichschritt vorwärts, die Gewehre über den Schultern. Die Sollstärke eines Regiments lag bei tausend Mann. Beide Bataillone hatte bislang geradezu lächerlich wenig Verluste hinnehmen müssen, und dennoch hatten Verletzungen und diverse Krankheiten die Truppenstärke auf je vierhundert Mann reduziert. Das war für Nimue Alban eine geradezu unfassbar niedrige Ausfallrate. Sie hatte schon öfter mit Armeen im Krieg zu tun gehabt, die Zug- und Reittiere brauchten, und kannte die Verletzungsgefahren. Auch mit der Geschichte der Kriege auf Terra war Nimue vertraut und wusste: Ausfälle, die auf Krankheiten zurückzuführen waren, lagen deutlich höher als alle Verluste im Gefecht, insbesondere vor der Industrialisierung. Erst im so genannten Ersten Weltkrieg hatten die Verluste im Kampf die Verluste durch Krankheiten überstiegen. Auf Safehold hatten allerdings die Lehren des ›Erzengels Pasquale‹ für Hygiene und Gesundheitsvorsorge in hohem Ausmaß gesorgt und die Situation hier gänzlich verändert.
Nichts jedoch änderte etwas daran, dass Zhanstyn und Raizyngyr der Kavallerie, die auf der anderen Seite des Hügels auf sie wartete, im Verhältnis fünf zu eins unterlegen waren.
Merlin blickte zu Clareyk hinüber. Der Brigadier ritt die Straße entlang, als gäbe es nichts auf der Welt, was ihm Sorgen bereite. Er blieb bei Zhanstyns Kommandogruppe, und wenn er sich tatsächlich Gedanken wegen Windshare machte, so verriet seine Miene davon nichts.
Graf Windshare saß im Sattel und beobachtete, wie die Vorposten seiner Kavallerie sich zurückzogen. Sie kamen langsam immer weiter den Hügel empor, genau wie Major Galvahn das berichtet hatte. Der lang gezogene, flache Abhang zwischen Windshares Männern und dem Feind war von toten und verwundeten Pferden übersät. Ganz offensichtlich hatten die Plänkler die Reittiere erwischt, die der Hauptkolonne der Infanterie etwa fünfzig oder sechzig Schritt weit vorangegangen waren. Doch menschliche Leichen zwischen den Tierkadavern konnte Windshare nur erfreulich wenige erkennen.
Durch sein Fernglas konnte er die Charisianer ausmachen, die mit geschulterten Gewehren vorwärts marschierten. Zu seiner beträchtlichen Überraschung hatten sie Bajonette aufgepflanzt. Das war ungewöhnlich. Die Bajonette waren die letzte Verteidigungsmöglichkeit der Musketiere, und für anständige Piken waren sie bestenfalls ein unbeholfener Ersatz. Schlimmer noch: wer den runden Schaft seines Bajonetts in den Lauf seiner Muskete geschoben hatte, konnte weder feuern noch nachladen - was in der Welt dachten sich diese Charisianer denn?!
Im hintersten Winkel seines Verstandes beharrte eine kaum hörbare Stimme darauf, jemand wie Gahrvai wäre vermutlich auf eine andere Antwort gekommen. Jemand wie Gahrvai hätte sich nicht mit der Vermutung zufrieden gegeben, der Gegner müsse wohl wahnsinnig geworden sein. Vielleicht hätte Windshare auf die Stimme gehört, wenn er die bislang vorliegenden Berichte über den Feind präsent gehabt hätte. Bislang nämlich waren Bajonette nie erwähnt worden. Andererseits war das auch nicht die Art Detail, die normalerweise in Berichten von Kavallerie-Kundschaftern auftauchte. Außerdem hatte Windshare im Augenblick schlichtweg andere Dinge im Kopf. Zum Beispiel, dass der Gegner, Bajonette hin oder her, in beachtlichem Tempo marschierte. Man mühte sich sichtlich, so rasch wie möglich vorwärts zu kommen, ohne sich dabei
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