Caylebs Plan - 6
Gelder, mit denen sie zu tun hatten. In den meisten anderen Königreichen galt das sozusagen als eines der Vorrechte, die mit dieser Position einhergingen. Nur in Charis war das anders. Auch Rohzhyr hatte niemals Anzeichen dafür gezeigt, der Versuchung zu erliegen und es seinen gierigeren Kollegen in anderen Reichen gleichzutun.
Zusätzlich zu seiner Ehrlichkeit verfügte der Colonel über Tugenden wie Intelligenz und Begeisterungsfähigkeit. Trotzdem war er ein Paradebeispiel für das, was auf Terra einst als ›Erbsenzähler‹ bezeichnet worden war. Er war in einem Maße ordentlich und organisiert, die schon an Fanatismus grenzte. Er hatte zu den Ersten gehört, die sich nach der Einführung des Abakus und der ›arabischen Zahlen‹ mit ganzem Herzen und voller Begeisterung diese Neuerungen zu Eigen gemacht hatten. Doch abgesehen von den Regeln und Erfordernissen des Versorgungsdienstes war er etwa so fantasiebegabt wie ein Stück Kommissbrot. Und er war fest davon überzeugt, die Dinge sollten so gemacht werden, wie man sie schon immer gemacht hatte - nur effektiver.
Nun ließ sich Cayleb in den Klappstuhl neben dem beachtlichen Tisch sinken, der einen Großteil eines Zeltes ausfüllte. Dabei entließ der Kaiser den Versorgungsoffizier keinen Moment aus seinem prüfenden Blick. Rohzhyr verkrampfte nervös die Hände hinter dem Rücken.
»Was meinen Sie mit: Die glauben nicht, dass ich es ernst meine?«
»Euer Majestät, ich habe versucht, es den Corisandianern zu erklären! Aber, aber ... die glauben es einfach nicht!«
Es überraschte Merlin nicht sonderlich, das zu hören.
Cayleb und seine Kommandeure waren eifrig damit beschäftigt, jeden Sack Reis einzusammeln, jeden Korb Weizen, jede Sense, jedes Pferd, jede Kuh, jeden Lastdrachen, jede Hühnchen und jedes Schwein - einfach alles, was ihren Beschaffungstrupps in die Hände fiel. Das überraschte die Einheimischen nicht im Mindesten, so sehr sie sich darüber auch ärgern mochten. Nahrung stehlen und Farmen plündern war nun einmal genau das, was Armeen eben taten. Anderes zu erwarten war etwa so sinnvoll, wie einen Orkan darum zu bitten, auf den Regen zu verzichten. Dass sich diese Armee bemerkenswert bei den Vergewaltigungen zurückhielt, die sonst so oft mit den Plünderungen einhergingen, zählte nichts.
In diesem Fall jedoch trug Cayleb die Nahrung und all die anderen Versorgungsgüter nicht nur für die eigene Armee zusammen. Es ging vor allem darum, Hektor vom Nachschub abzuschneiden und die konfiszierten Lebensmittel dazu zu nutzen, sämtliche Kriegsgefangenen zu ernähren, die bis vor kurzem noch Sir Koryn Gahrvais Armee gewesen waren. Natürlich wirkte sich dieser Unterschied nicht im Mindesten auf die glücklosen bisherigen Eigentümer der Lebensmittel, Tiere und Landwirtschaftsgeräte aus. Was jedoch einen ernst zu nehmenden Unterschied ausmachte, war, dass die Marines im Gegensatz zu praktisch allen anderen Armeen stets Quittungen über das konfiszierte Privateigentum ausstellten. Am Ende dieses Feldzuges sollten diese Quittungen dann beglichen werden: mit hartem, echtem Geld. Cayleb hatte die Absicht, diese Gelder ausschließlich Hektors Staatskasse zu entnehmen.
Das war neu, so zu verfahren war Caylebs Idee gewesen. Die beste Methode, der Propaganda der ›Vierer-Gruppe‹ entgegenzutreten, fand er, bestünde darin, das Vertrauen der Leute zu gewinnen, die tatsächlich mit Charis in Kontakt kämen. Und Cayleb fand, Taten sagten mehr als alle Worte.
»Mal sehen, ob ich das richtig verstehe«, sagte er nun. »Sie wollen mir erklären, die corisandianischen Bauern weigern sich, die Quittungen in Empfang zu nehmen, die unsere Truppen bei der Nahrungsbeschaffung ausstellen?«
»Mehr oder weniger, Euer Majestät.« Kaum merklich hob Rohzhyr die Achseln. »Einige nehmen sie zwar, aber ich glaube nicht, dass die sonderlich darauf achten. Und andere verkaufen sie einfach sofort an jeden, der, wie sie meinen, töricht genug ist, ihnen dafür gutes Geld zu geben.«
»Zu welchem Kurs?«, fragte Cayleb nach.
»Die meisten geben sich mit einem Kurs von eins zu hundert zufrieden, Euer Majestät«, seufzte Rohzhyr, und Caylebs Kiefermuskeln spannten sich bedrohlich an.
»Sind einige dieser ach-so-großzügigen Spekulanten vielleicht Charisianer?«, erkundigte er sich mit eisiger Stimme.
»Einige«, gestand Rohzhyr. »Wahrscheinlich sogar die meisten. Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, dass die Einheimischen glauben, unsere Quittungen
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