Celaenas Geschichte 02 - Throne of Glass
Zinnen zu setzen. Dankbar für die Unterbrechung, kletterte sie hinauf und zwang sich, dabei nicht nach unten, zum Erdboden tief unter ihr, zu sehen. Obwohl sie mit großen Höhen vertraut und schwindelfrei war, fühlte es sich nie natürlich an, über einem Abgrund zu sitzen.
Der Meister hob die Augenbrauen. Rede, schien er zu sagen.
Darauf bedacht, die Schlange im Auge zu behalten, die sich ein Plätzchen im Schatten der Zinnen suchte, schob Celaena den linken Fuß unter den rechten Oberschenkel.
Von ihrem Streit mit Ansel zu erzählen kam ihr so … kindisch vor. Als ob der Meister der Schweigenden Assassinen etwas von einem belanglosen Zank hören wollte!
In den Bäumen der Oase zirpten Zikaden und irgendwo in den Gärten sang eine Nachtigall ihr Klagelied. Reden . Aber worüber?
Sie hatte nichts zu sagen, also saßen sie eine Weile schweigend auf den Zinnen – bis sogar die Zikaden schlafen gingen, der Mond hinter ihnen verblasste und der Himmel heller zu werden begann. Reden . Über das, was sie in den letzten Monaten verfolgt hatte. Bis in jeden Gedanken, jeden Traum, jeden Atemzug hinein. Reden .
»Ich habe Angst davor, nach Hause zu gehen«, sagte sie schließlich, den Blick auf die Dünen hinter den Zinnen gerichtet.
Es war schon hell genug, um zu sehen, wie sich die Augenbrauen des Meisters hoben. Warum?
»Weil alles anders sein wird. Weil schon jetzt alles anders ist. Ich glaube, es hat sich verändert, als Arobynn mich bestraft hat, aber … Ein Teil von mir meint immer noch, dass die Welt wieder so wie vor jener Nacht werden wird. Wie vor meiner Reise nach Skull’s Bay.«
Die Miene des Meisters war undurchdringlich, aber seine Augen funkelten wie Smaragde. Mitfühlend. Bekümmert.
»Ich weiß nicht einmal, ob ich wirklich will, dass es wieder so wird wie früher«, sprach Celaena weiter. »Und ich glaube … ich glaube, das macht mir am meisten Angst.«
Der Meister lächelte sie aufmunternd an, ließ den Kopf kreisen und reckte die Arme nach oben, um sich zu strecken. Dann stellte er sich auf die Zinne.
Celaena wurde nervös, sie wusste nicht, ob sie dasselbe tun sollte.
Doch ohne sich um sie zu kümmern, begann der Meister eineAbfolge von graziösen, sich schlängelnden Bewegungen auszuführen, so elegant wie ein Tanz und tödlich wie die Schlange auf dem Dach.
Die Schlange.
In den Bewegungen des Meisters konnte Celaena all die Eigenschaften erkennen, die sie in den letzten Wochen durch Nachahmung geübt hatte: gezügelte Kraft, Schnelligkeit, List und Zurückhaltung.
Nachdem er die Bewegungsabfolge noch einmal vorgeführt hatte, bedurfte es nur eines Blicks in Celaenas Richtung und schon stand sie ebenfalls auf der Wehrmauer. Auf ihr Gleichgewicht bedacht, tat sie es ihm langsam nach. Ihre Muskeln jubelten, weil sich die Bewegungen richtig anfühlten. Sie lächelte, denn die vielen Nächte achtsamer Beobachtung und Nachahmung ergaben nun plötzlich einen Sinn.
Wieder und wieder bog und wand sie die Arme, ihr Oberkörper drehte sich, sogar ihr Atem passte sich dem Rhythmus an. Wieder und wieder, bis sie schließlich zur Schlange wurde, bis die Sonne durch den Horizont brach und alles in rotes Licht tauchte.
Wieder und wieder, bis da nichts anderes mehr war als der Meister und sie und ihre gleichmäßigen Atemzüge, während sie den neuen Tag begrüßten.
Eine Stunde nach Sonnenaufgang schlich Celaena, auf einen weiteren Streit gefasst, in ihr Zimmer, aber Ansel war bereits zu den Stallungen aufgebrochen. Da Ansel sie am Tag vorher im Stich gelassen und Celaena den Stalldienst allein übernommen hatte, beschloss sie, sich zu revanchieren, und ließ sich mit einem wohligen Seufzer ins Bett fallen.
Später wurde sie wach, als jemand sie an der Schulter rüttelte – jemand, der nach Stall roch.
»Lass es bitte schon Nachmittag sein«, stöhnte Celaena, rollte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im Kissen.
Ansel lachte in sich hinein. »Oh, es ist fast Abend. Und die Ställe und Boxen sind auch ohne dich alle sauber geworden.«
»Gestern musste ich alles allein machen«, murmelte Celaena.
»Ja, stimmt … Tut mir leid.«
Celaena hob das Gesicht vom Kissen. Ansel trug ihre Rüstung, was Celaena schlagartig wach machte, denn ihr fiel plötzlich ein, was sie über die Heimat ihrer Freundin gesagt hatte.
Ansel knetete nervös die Hände und schob sich dann die roten Haare hinter die Ohren. »Ich hätte das nicht über dich sagen sollen. Ich finde gar nicht, dass du verwöhnt
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