Celaenas Geschichte 02 - Throne of Glass
toten Assassinen um sie herum, sondern auch für die Soldaten, die Ansels Vorhaben mit dem Leben bezahlt hatten. Und ebenso für das, was sie ihr selbst angetan hatte; selbst jetzt trieb es ihr noch Tränen in die Augen. Sie würde Ansel verlieren, auch wenn sie ihr das Schwert nicht in den Nacken stieß. Sie hatte sie bereits verloren.
Vielleicht war Ansel schon lange für die Welt verloren.
Celaena konnte das Zittern ihrer Lippen nicht unterdrücken, als sie fragte: »Bist du eigentlich irgendwann mal ehrlich gewesen?«
Ansel öffnete ein Auge und starrte ans andere Ende des Saals. »In manchen Momenten schon. Zum Beispiel, als ich dich weggeschickt habe.«
Celaena musste ein Schluchzen unterdrücken und atmete tief ein, um sich zu beruhigen. Langsam löste sie das Schwert wenige Millimeter von Ansels Nacken.
Als Ansel sich bewegen wollte, verstärkte Celaena den Druck sofort wieder, damit sie stillhielt. Von draußen kamen Schreie – des Triumphs, aber auch der Bestürzung – von Stimmen, die rau klangen, weil sie lange nicht benutzt worden waren. Die Assassinen hatten gesiegt. Wie lange würde es dauern, bis sie hier waren? Wenn sie Ansel entdeckten, wenn sie sahen, was sie getan hatte … würden sie sie töten.
»Du hast fünf Minuten, um deine Sachen zu packen und die Festung zu verlassen«, sagte Celaena rasch. »Denn in zwanzig Minuten stehe ich auf den Zinnen und schieße einen Pfeil auf dich ab. Hoffentlich bist du dann außer Schussweite, sonst trifft dich dieser Pfeil direkt ins Genick.«
Celaena hob das Schwert. Ansel stand langsam auf, lief aber nicht davon. Celaena brauchte eine Sekunde, bis sie begriff, dass sie auf das Schwert ihres Vaters wartete.
Sie starrte auf den wolfsförmigen Griff und das Blut auf der Klinge. Die Waffe bildete die letzte Verbindung zu Ansels Vater, ihrer Familie und dem wenn auch noch so verqueren Fünkchen Hoffnung, das in ihrem Herzen flackerte.
Sie drehte das Schwert herum und reichte es Ansel mit dem Griff zuerst. Als das Mädchen es entgegennahm, waren ihre Augen groß und feucht. Sie wollte etwas sagen, aber Celaena ließ sie nicht zu Wort kommen. »Geh nach Hause, Ansel.«
Ansel wurde wieder blass. Kaum hatte sie das Schwert in den Gürtel um ihre Hüfte gesteckt und Celaena einen letzten Blick zugeworfen, rannte sie davon und sprang über Mikhails Leichnam, als wäre er lediglich ein Hindernis auf ihrem Weg.
Dann war sie fort.
12
C elaena eilte zu Ilias, der stöhnte, als sie ihn auf den Rücken drehte. Seine Bauchwunde blutete immer noch. Sie riss Streifen von ihrer Tunika, die sich schon mit Blut vollgesogen hatte, und rief nach Hilfe, während sie ihm einen strammen Verband anlegte.
Ein leises Geräusch ließ sie über die Schulter blicken: Der Meister versuchte sich zu seinem Sohn zu schleppen. Offenbar ließ die Lähmung allmählich nach.
Fünf blutüberströmte Assassinen kamen die Treppe heraufgerannt. Als sie Mikhail und Ilias entdeckten, wurden sie blass, die Augen vor Entsetzten geweitet. Celaena überließ ihnen Ilias und lief rasch zum Meister.
»Bleibt ruhig liegen«, wies sie ihn an und erschrak, als Blut von ihrem Gesicht auf seine weißen Kleider tropfte. »Ihr könntet Euch verletzen.« Sie hielt nach irgendeinem Hinweis auf das Gift Ausschau und entdeckte den Bronzebecher am Boden. Sie roch daran – das Wasser war mit Gloriella vermischt worden, keine tödliche Dosis, sondern gerade genug, um den Meister zu lähmen. Ansel musste gewollt haben, dass er wehrlos dalag, bevor sie ihn tötete – er sollte wissen , wer ihn hintergangen hatte, sollte bei Bewusstsein sein, wenn sie ihm den Kopf abschlug. Wieso hatte er keinen Verdacht geschöpft, dass das Wasser vergiftet war? Vielleicht war er dochnicht so bescheiden, wie er wirkte; vielleicht war er hochmütig genug zu glauben, er wäre hier in Sicherheit. »Die Wirkung wird bald vorbei sein«, sagte sie zum Meister, schickte aber trotzdem nach einem Gegengift, um den Prozess zu beschleunigen. Einer der Assassinen machte sich im Eilschritt auf den Weg.
Celaena hielt sich mit einer Hand den blutenden Hals, während sie beim Meister saß. Die Assassinen am anderen Ende des Raums machten sich daran, Ilias hinauszutragen, und versicherten dem Meister, dass sein Sohn wieder gesund werden würde.
Vor Erleichterung hätte Celaena beinahe laut aufgestöhnt. Sie zuckte zusammen, als eine trockene, schwielige Hand die ihre umfasste und schwach drückte. Sie sah, dass der Meister zur offenen
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