Celaenas Geschichte 02 - Throne of Glass
Tür blickte. Er wollte sie an ihr Versprechen erinnern. Ansel hatte zwanzig Minuten bekommen, um sich außer Schussweite zu bringen.
Die Zeit war um.
Ansel war bereits ein dunkler Fleck in der Ferne und Hisli galoppierte, als wären Dämonen hinter ihr her. Ansel wollte nach Norden über die Dünen, in Richtung der Singing Sands, zu der schmalen, mit Urwald überwucherten Landenge, die das Deserted Land mit dem übrigen Kontinent verband und über die man in die Western Wastes gelangte. Ansel wollte nach Briarcliff.
An der Wehrmauer zog Celaena einen Pfeil aus ihrem Köcher und legte ihn in ihren Bogen.
Die Bogensehne ächzte, als sie sie zurückzog, immer weiter, so weit ihr Arm es vermochte.
Sie visierte die winzige Gestalt auf dem schwarzen Pferd an und zielte.
In der Stille der Festung klang die Bogensehne wie eine klagende Harfe.Der Pfeil flog in die Höhe und schwirrte unaufhaltsam dahin. Die roten Dünen schossen verschwommen unter ihm vorbei, während sein Ziel näher rückte. Ein geflügeltes Stückchen Dunkelheit mit einer Stahlspitze. Ein schneller, blutiger Tod.
Hislis Schweif schnellte zur Seite, als der Pfeil sich wenige Zentimeter hinter ihren Hinterhufen in den Sand bohrte.
Ansel wagte nicht über die Schulter zu sehen. Sie ritt weiter, ohne anzuhalten.
Celaena ließ den Bogen sinken und beobachtete Ansel, bis sie hinter dem Horizont verschwunden war. Ein Pfeil, so hatte ihr Versprechen gelautet.
Aber sie hatte Ansel auch zwanzig Minuten gegeben, um sich außer Schussweite zu bringen.
Sie hatte nach einundzwanzig Minuten geschossen.
Am nächsten Morgen rief der Meister Celaena zu sich. Es war eine lange Nacht gewesen, aber Ilias befand sich auf dem Weg der Besserung, denn zum Glück war kein lebenswichtiges Organ verletzt worden. Sämtliche Soldaten von Lord Berick waren tot und sollten nach Xandria verbracht werden – als Mahnung für Berick, die Anerkennung des Königs von Adarlan anderswo zu suchen. Zwanzig Assassinen waren gestorben und eine schwere, mit Trauer erfüllte Stille lastete auf der Festung.
Celaena setzte sich auf einen mit Schnitzereien bedeckten Holzstuhl und beobachtete den Meister, der aus dem Fenster in den Himmel starrte. Sie traute ihren Ohren nicht, als er zu sprechen begann.
»Ich bin froh, dass du Ansel nicht getötet hast.« Seine Stimme war rau und die Worte waren stark von dem abgehackten und doch rollendenKlang einer Sprache gefärbt, die ihr ganz fremd war. »Ich habe mich schon lange gefragt, wann sie ihr Schicksal endlich in die Hand nehmen würde.«
»Ihr wusstet also …«
Der Meister wandte sich vom Fenster ab. »Ich wusste es seit Jahren. Mehrere Monate nach Ansels Ankunft habe ich in den Flatlands Erkundigungen eingezogen. Ihre Familie hatte ihr keinen einzigen Brief geschrieben und ich war besorgt, dass etwas passiert sein könnte.« Er setzte sich Celaena gegenüber. »Mein Kundschafter kehrte Monate später mit der Auskunft zurück, Briarcliff gebe es nicht mehr. Der Lord und seine ältere Tochter seien vom neuen König ermordet worden und die jüngere Tochter – Ansel – werde vermisst.«
»Warum habt Ihr sie nie … damit konfrontiert?« Celaena berührte die schmale Schnittwunde auf ihrer linken Wange. Wenn sie sich richtig darum kümmerte, würde keine Narbe zurückbleiben. Und wenn doch … Dann würde sie Ansel vielleicht einmal besuchen und sich revanchieren.
»Weil ich hoffte, sie würde eines Tages genug Vertrauen zu mir haben, um es mir zu erzählen. Ich musste ihr diese Chance geben, auch wenn es riskant war. Ich hoffte, dass sie lernen würde, sich ihrem Schmerz zu stellen und damit zu leben.« Er lächelte Celaena traurig an. »Wenn man lernt, mit Schmerz umzugehen, wird man mit allem fertig. Manchen Menschen gelingt es, ihn willkommen zu heißen – ihn zu lieben. Manche ertränken ihn in Kummer oder lenken sich ab. Andere ziehen daraus Wut. Aber Ansel verwandelte ihren Schmerz in Hass und ließ sich davon auffressen, bis sie ein anderer Mensch geworden war – so wie sie wahrscheinlich nie werden wollte.«
Celaena sog seine Worte in sich auf, verschob das Nachdenken darüber jedoch auf später. »Werdet Ihr den anderen erzählen, was sie getan hat?«
»Nein. Ich möchte ihnen die Empörung ersparen. Viele dachten, Ansel wäre ihre Freundin gewesen – und auch ein Teil von mir glaubt, dass sie das zeitweise wirklich war.«
Celaena sah zu Boden, fragte sich, was sie mit ihrem eigenen Schmerz machen sollte. Würde es ihr
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