Celinas Tochter
den letzten Tagen sehr rar gemacht hatte, blendete sie jetzt. Der Himmel war strahlend blau. Flugzeuge, kaum gröÃer als Stecknadelköpfe, zogen weiÃe Linien über den Himmel, die den endlosen weiÃen Zäunen, die auf der Minton Ranch Koppeln und Weiden voneinander trennten, glichen.
Der Boden zwischen der KiesstraÃe und der Trainingsbahn wimmelte von Unebenheiten. Schwere Reifen hatten im Lauf der Jahre tiefe Furchen gegraben. Einige Stellen waren schlammig, da wo das Eis bereits den Strahlen der Sonne zum Opfer gefallen war.
Alex hatte sich passend angezogen, mit alten Stiefeln und Jeans. Obwohl sie Handschuhe trug, blies sie in ihre Hände, um sie zu wärmen. Dann holte sie ihre Sonnenbrille raus, um sich vor dem grellen Licht zu schützen, und beobachtete Reede durch die dunklen Gläser. Er stand am Zaun und stoppte die Zeiten der Pferde mit Hilfe der Zeitnahmeposten, die nach jeder sechzehntel Meile aufgestellt waren.
Sie blieb einen Moment stehen, um ihn unbemerkt betrachten zu können. Heute trug er statt der ledernen Bomberjacke einen langen, hellen Staubmantel. Ein Fuà ruhte auf dem niedrigsten Balken des Zaunes, eine Stellung, die seinen schmalen Hintern und seine langen Schenkel gut zur Geltung brachte.
Seine Stiefel waren abgestoÃen und runtergetreten, die Jeans sauber, aber die Säume ausgefranst und fast weià gebleicht. Ihr kam der Gedanke, daà die ReiÃverschlüsse aller seiner Jeans gleich abgewetzt waren, und sie schämte sich, daà sie das bemerkt hatte.
Seine Arme lagen auf den obersten Balken, und die Hände
baumelten herunter. Er trug Lederhandschuhe, dieselben, die er an jenem Abend getragen hatte, an dem er sie an sich gezogen und gehalten hatte, während sie weinte. Es war seltsam und irgendwie beunruhigend, sich zu erinnern, wie seine Hände über ihren Rücken geglitten waren und sie nur ein Frotteemantel von ihrer Nacktheit getrennt hatte. Eine Stoppuhr lag in der Hand, die ihren Kopf umfangen und an seine Brust gedrückt hatte.
Er hatte denselben Cowboyhut auf, mit dem sie ihn das erste Mal gesehen hatte, tief ins Gesicht gezogen. Dunkelblonde Haare streiften den Kragen seines Mantels. Als er den Kopf drehte, sah sie, wie klar die Linien seines Profils waren, da gab es nichts Verschwommenes, Vages. Wenn er atmete, bildete sich Dampf um seine Lippen, die ihr Haar geküÃt hatten, als er sie bei der Auskunft über Celinas Leiche trösten wollte.
»LaÃt sie rennen«, schrie er den Trainingsreitern zu. Seine Stimme war so maskulin wie der ganze Mann. Gleichgültig, ob er Befehle brüllte oder kühle Bemerkungen machte, sie löste immer ein Kribbeln auf ihrer Haut aus.
Die Pferde stürmten heran, mit donnernden Hufen, Torfklumpen flogen, die der Bahnbereiter heute morgen gelockert hatte. Aus geblähten Nüstern strömten Dampfwolken.
SchlieÃlich zügelten die Reiter sie zum Schritt und machten sich auf den Weg in Richtung Stall. Reede rief einem zu: »Ginger, wie läuft er?«
»Ich habe ihn zurückgehalten. Er strotzt vor Kraft.«
»Laà ihm seinen Willen. Er will rennen. Geh eine Runde im Schritt, dann laà ihn wieder laufen.«
»Okay.«
Der winzige Reiter, eine Frau, wie Alex erst jetzt erkannte, tippte sich mit der Gerte an die Kappe und dirigierte ihr prachtvolles Pferd zurück auf die Bahn.
»Wie heiÃt er denn?«
Reede drehte den Kopf. Er durchbohrte Alex mit Augen,
die nur durch die Hutkrempe vor der Sonne geschützt waren. Er hatte sie leicht zusammengekniffen, was sehr attraktive Lachfältchen im Umkreis bildete. »Sie ist ein Mädchen.«
»Das Pferd?«
»Oh. Das Pferd heiÃt Double Time.«
Alex stellte sich zu ihm an den Zaun und legte ihre Arme auf den obersten Balken. »Gehört er Ihnen?«
»Ja.«
»Ein Sieger?«
»Er liefert mein Taschengeld.«
Alex sah sich die Reiterin an, die im Sattel kauerte. »Sie weià anscheinend genau, was sie zu tun hat«, bemerkte sie. »Das ist ein Haufen Pferd für eine so winzige Person.«
»Ginger ist einer von Mintons besten Galoppjungs â so nennt man sie.« Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Pferd und die Reiterin, die jetzt in vollem Galopp die Bahn entlangfegten. »Komm, Junge, los, komm«, flüsterte er. »So istâs gut, wie ein echter Profi.« Er jubelte, als Double Time an ihnen vorbeidonnerte, ein
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