Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
zu erwarten hatte, der sie missachtete. Die einheimischen Arbeiter hielten sich jedoch heraus und dachten: „Die spinnen, die Römer!“
Sergius zuckte nur bedauernd mit den Schultern. Er wollte seine gute Stelle nicht für Lucius riskieren. Schließlich war Gaius der Erbe des Hofes.
Heute stand wieder ein Marsch auf dem Programm. Mittlerweile marschierten sie tagelang durch die Gegend. Sie waren sogar schon zum Berg des Windes marschiert und hatten ihn ein Stück weit bestiegen. Zusätzlich zu den Märschen musste Lucius jetzt jeden Abend einen Lagerbau simulieren. Auf einer Länge von drei Metern hackte er den Boden auf und hob dann einen Graben aus. Eine mühselige Plackerei. Der Aushub wurde zum Wall aufgeschichtet. Erst wenn „das Lager“ gesichert war, baute er das Zelt auf und kümmerte sich um das Abendessen. Danach war er meistens so müde, dass er sofort ins Zelt kroch und sich schlafen legte. Sofern das fürchterliche Schnarchen von Saxum, seinem ständigen Begleiter, ihn schlafen ließ. Am Morgen wurde der Wall wieder abgetragen und der Graben eingeebnet– und der nächste Tagesmarsch begann. Er hängte sich das Schwert um, nahm den Schild und die Sarcina auf und marschierte los. Saxum ritt fröhlich pfeifend auf seinem Maultier nebenher. Die erstaunten Blicke der Reisenden, denen sie begegneten, bemerkte Lucius gar nicht mehr. Und selbst wenn, dann ließen sie ihn kalt. Für die Frauen und Männer auf den Feldern war der junge Mann in Legionärsausrüstung schon lange kein Unbekannter mehr. Insanius, den Verrückten, nannten sie ihn. Er war sogar so etwas wie eine Attraktion geworden. „Insanius kommt, Insanius kommt!“, riefen die Kinder, wenn sie ihn sahen. Sie liefen ein Stück mit und hänselten ihn oder sangen Spottlieder. Am Anfang war er vor Scham fast im Boden versunken, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Er war sogar ein wenig stolz, denn ihm zu Ehren war immerhin ein Lied gedichtet worden.
Mulis Marianis insanius
, das verrückte Maultier des Marius, war zwar ein Spottlied, aber über seinen Vater war sicher noch nie ein Lied gemacht worden. Einem Beneficiarier, der sie überprüfen wollte, tischte Saxum wieder die Geschichte vom kranken Neffen auf, und er ließ sie ziehen. So ging es Tag um Tag. Alle fünf Tage gab es einen Ruhetag, an dem Waffendrill anstand.
Hinter dem Haus wartete Pertinax bereits auf ihn. Er trug einen kleinen Schild, den Parma, und war mit einer Spatha, dem Langschwert der Reiterei, bewaffnet. Pertinax verzichtete auf Bein- und Armschutz. Sie kämpften regelmäßig gegeneinander und Lucius war so gut geworden, dass es ihm sogar ab und zu gelang, Pertinax in Bedrängnis zu bringen. Allerdings wartete der Gladiator im nächsten Kampf mit neuen Tricks auf. Sein Vorrat an Tricks und Kampftechniken schien unerschöpflich zu sein und er teilte ihn bereitwillig mit Lucius. Seine Ratschläge waren meist simpel, aber hilfreich. In ihren ersten richtigen Kämpfen wusste Lucius vor Aufregung nicht, welche der zahlreichen Varianten, die sie trainiert hatten, er benutzen sollte. Nach den ersten kläglichen Niederlagen hatte ihm der wortkarge Pertinax seine erste und einzige längere Rede gehalten: „Wenn du deine ersten Kämpfe hast, erinnere dich an das Gelernte und beschränke dich nur auf die Techniken, die du gut beherrschst. Das wird dir Sicherheit und Selbstvertrauen geben. Du hast zahllose Schlag- und Stoßvarianten trainiert, ebenso wie verschiedene Verteidigungstechniken, aber bei deinem ersten Kampf auf Leben und Tod wirst du vor Aufregung alles vergessen haben. Deshalb beschränke dich auf die einfachsten Dinge. Bei den folgenden Kämpfen wird dir ein bisschen mehr in Erinnerung bleiben, und dann noch mehr, und dann noch mehr. Jeder hat bei einem Kampf Angst. Wer das Gegenteil behauptet, ist ein Lügner. Aber das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Erfahrung, schon Kämpfe überlebt zu haben, helfen erfahrenen Kämpfern, ihre Angst zu beherrschen. Du bist kein erfahrener Kämpfer, aber du hast gute Fähigkeiten. Nutze sie! Stell dir einen Feind als Trainingspartner vor, und alles läuft wie von selbst.“
Jetzt wies Pertinax auf die Wurfspeere, die an der Hauswand lehnten.
„Du wirst zuerst mit den Speeren auf das Ziel werfen. Wann immer es mir passt, werde ich dich angreifen. Aber achte nicht zu sehr auf mich. Du musst zwanzig Treffer landen, und wenn es die ganze Nacht dauert.“
Lucius ergriff das Scutum, den großen schweren Schild
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