Centurio der XIX Legion: Historischer Roman (German Edition)
„Soldaten! Und ich als dein Vorgesetzter gebe dir einen neuen Befehl und den wirst du befolgen!“
Er war offenbar einer dieser törichten Befehlshaber, von denen in den römischen Geschichten immer wieder die Rede war. Sie hatten durch ihren Stand und dank ihrer Vorfahren die Befehlsgewalt, aber im Grunde keine Ahnung.
„Es wäre aber doch ärgerlich, wenn nächstes Jahr auf dem Forum jemand herumerzählen würde, dass dir bei einem kleinen Versorgungsunternehmen drei Sack Getreide gestohlen wurden, weil du die grundlegenden Maßnahmen zur Sicherung eines Lagers nicht befolgt hast!“
Scapula musterte Lucius finster.
„Wie sagt der Princeps immer?“, fuhr dieser fort. „ ‚Eile mit Weile!’“
Scapula starrte ihn einen Augenblick entrüstet an, dann verzog sich sein Mund zu einem Grinsen und mit einer ausladenden Geste gab er sich geschlagen. „Eine gute Antwort, Centurio. Na gut, aber was können wir tun, um schneller voranzukommen?“
Lucius zuckte mit den Schultern: „Nichts, da egal, was wir machen, die Tagesleistung der Ochsen begrenzt ist. Sie können nicht schneller laufen!“
„Können wir dann nicht wenigstens die abendliche Suche nach einem geeigneten Lagerplatz auf diesem vollgeschissenen Weg abkürzen?“ Mallius hatte den Wortwechsel verfolgt. „Wir könnten zwei Contubernia der Vorhut zuteilen. Die können dann den Lagerplatz abstecken und mit Wall und Graben markieren. Das spart Zeit.“
„Gute Idee!“, begeisterte sich Scapula.
„Wer soll das Kommando übernehmen?“, fragte Lucius.
„Celsonius, der Tesserarius!“, entgegnete der Signifer.
„Gut!“, stimmte Lucius zu.
„Wäre das nicht eine Aufgabe für deinen Stellvertreter?“, fragte Scapula.
Mallius wirkte entnervt und Lucius wehrte eilig ab: „Der Signifer verlässt nie die Einheit. Wenn das Signum verloren ginge …!“ Er machte eine Pause.
Scapula wirkte verwirrt. „Ich meinte den Optio!“
Lucius war erleichtert. „Ach so. Der Optio ist aber erst der dritte Mann in der Centurie. Der Signifer ist ranghöher!“ Scapula blickte noch verwirrter. „Es sei denn“, fuhr Lucius fort, „er ist
Optio ad spem
, ein Optio vor seiner Beförderung zum Centurio, dann ist er ranghöher als der Signifer. Allerdings ist im Feld der Optio der zweite Mann, weil der Signifer durch seine Ausrüstung behindert ist, nur, wenn …!“
„Schon gut, schon gut!“ Scapula hob die Hände. „Ich habe verstanden! Schickt doch, wen ihr wollt!“ Er drehte sich um und legte mit wehendem Mantel einen bühnenreifen Abgang hin. „Zeitsoldaten!“, sagte Lucius mit einem Grinsen zu Mallius gewandt. Der erwiderte das Grinsen nicht, sondern drehte sich wortlos um und ging ebenfalls weg. Obwohl Scapula sich mit den Angaben zur Tagesleistung der Ochsen zufriedengegeben hatte, machte Lucius sich Sorgen. Das Marschtempo war selbst für Ochsen zu langsam. Sie mussten keine nennenswerten Hindernisse bewältigen und schafften trotzdem nur sechs Meilen pro Tag. Acht Meilen wären gut gewesen, zehn Meilen noch besser, aber sechs?
Mit wem konnte er sich beraten, wie man die Leistung der Centurie steigern konnte? Mallius, der ihn permanent belehrte? Drusillus oder Celsonius? Die waren nicht erpicht darauf gewesen, unter Lucius’ Kommando zu stehen, und legten größten Wert auf Distanz. Lucius beschloss also zunächst, Nachsicht gegenüber den Männern zu zeigen, aber Drusillus war anscheinend anderer Meinung. Der Optio schlug zwei Männer so heftig mit seinem Stock, dass sie zwei Tage nicht gehen konnten und in einem Wagen gefahren werden mussten. Lucius schwieg dazu, da Drusillus über zwanzig Jahre Diensterfahrung hatte; er würde schon wissen, wie man die Männer antrieb. Lucius ließ den
principales
weitestgehend freie Hand, um ihnen zu zeigen, dass er ihrer Erfahrung vertraute.
Einen Tagesmarsch hinter Lousonna bog die Straße nach Norden ab und sie ließen den See hinter sich. Sie befanden sich nun im Gebiet der Tiguriner. Mit diesen existierte seit Caesars Zeiten ein Vertrag, aber trotzdem hatte Lucius ein flaues Gefühl im Magen, da sie jetzt nicht mehr in der Provinz Gallia Comata waren, sondern sich jenseits der Grenzen des Imperium Romanum befanden. Als ob Jupiter nur darauf gewartet hatte, setzte prompt das schlechte Wetter wieder ein und es begann zu regnen. Zwei Tage lang regnete es ununterbrochen und alle atmeten erleichtert auf, als am Nachmittag des dritten Tages die Häuser von Aventicum vor ihnen auftauchten. Es war nur
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