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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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steht mir doch der
Sinn nach Höherem. Was soll ich mit mir anfangen? Soll ich lesen? Reisen? Seit
Vaters Tod trinke ich zuviel, das muss ich einschränken. Und ein Programm muss
ich aufstellen. Ich muss mich am Riemen reißen, mich ein bisschen kasteien.« Er
merkte, wie seine Gedanken in Spott ausarteten, und stand unwillig auf.
Muhittin galt ihm als Beispiel dafür, dass Spott nichts anderes war als ein
Anzeichen von Unzufriedenheit und Dekadenz. Er sah immer noch zum Fenster
hinaus. Hinter dem Garten war ein großes Grundstück, auf dem Kinder Bock
sprangen. »Vor kaum zehn, zwölf Jahren war ich noch wie sie!« dachte er
erschüttert.
    »So, jetzt sind wir wieder sauber!«
rief Perihan, die mit dem Baby zurückkam. »Unser Fräulein Melek hat ein Faible
für Wasser. Sie blüht richtig auf, wenn sie gebadet wird!«
    Refık drehte sich zu Perihan um
und sah sie lachen. »Was habe ich schon für sie getan?« dachte er.
    »Was ist denn los mit dir? Was
siehst du mich so an?« fragte Perihan, die das Baby abtrocknete.
    »Es ist so furchtbar heiß«,
stammelte Refık. Dann sagte er plötzlich: »Habe ich dich je
vernachlässigt?«
    Perihan stutzte. »Mich?« Als sie begriff,
dass wirklich sie selbst gemeint war, sagte sie in einer Mischung aus
Verdutztheit und Stolz: »Nein!« Dann dachte sie kurz nach und fügte hinzu: »Ich
kann mich über nichts beklagen! Sag mal, geht es dir gut? Es soll dir nämlich
gutgehen!«
    Refık zwang sich ein Lächeln
ab. »Jaja, es geht mir gut! Da ist nur so eine Art Unbehagen … Ich will so
richtig nachdenken, verstehst du. Ich frage mich, wie es mit mir weitergehen
soll. Das weiß ich nämlich nicht. Und dann diese verdammte Hitze!«
    »Es soll dir gutgehen, das ist das
wichtigste!« sagte Perihan nachdrücklich.
    Refık dachte: »Sie liebt mich!«
Am liebsten hätte er sie umarmt, aber er hielt sich zurück, weil er sich
einbildete, das hätte wie eine Entschuldigung gewirkt. »Sie liebt mich, und wir
sitzen hier in diesem Zimmer … Und haben jetzt ein kleines Mädchen! Und da
behandele ich sie wie ein Kind, nur weil ich schlechter Laune bin … Ich
sollte einfach aufhören zu denken.«
    »Ich gehe jetzt in die Bibliothek
hinunter. Vielleicht ist meine Mutter ja gar nicht mehr drin.«
    »Und ich lege die Kleine wieder
hin.«
    Als Refık schon an der Tür
stand, ging diese auf. Es war Nermin, die nicht weiter überrascht schien, ihn
hier zu sehen.
    »Ah, hier bist du! Osman hat mich
angerufen. Dir soll nicht gut sein, er macht sich Sorgen. Wie geht es dir
jetzt?«
    Bedrückt erwiderte Refık: »Gut,
sehr gut. Ich gehe jetzt hinunter!«

20
  WARUM SIND WIR SO?
    »Ihr Vater!« sagte Sait Nedim. »Ihr Vater! Wenn
Sie es nicht als ungebührlich ansehen, dass ich ihn einfach so nenne.«
    »Ich bitte Sie!«
    »Also wenn Sie das nicht als
ungebührlich empfinden und mir auch nachsehen, dass ich schon etwas getrunken
habe, dann möchte ich sagen, dass ich Ihren Vater sehr geschätzt habe. Und
darum möchte ich, dass wir uns über Ihren Vater ein wenig unterhalten und über
alte Zeiten und über uns selbst. Tun wir das doch!«
    Das taten sie denn auch, in dem
Konak in Nişantaşı, den Sait Nedim von seinem Vater geerbt
hatte, und sie aßen dabei, nach dem schweren Abendessen, ein wenig Obst. Es war
der Konak, in dem Cevdet und Nigân Hochzeit gefeiert hatten.
    »Ich möchte vor allem das eine
sagen«, setzte Sait Nedim noch einmal an, »und zwar, dass unser Land Menschen
wie Ihren Vater braucht!«
    »Was für Menschen?« fragte
Refık.
    Es trat peinliches Schweigen ein,
und Refık traf ein Blick von Osman, der besagte: »Was für eine Frage! Es
ist doch ganz offensichtlich, was unser Vater für ein Mensch war! Sait Nedim
redet doch seit Stunden über nichts anderes!« Sait Nedim ließ sich mit seiner
Antwort Zeit und griff erst zu den Weintrauben. Seine Schwester Güler saß
stirnrunzelnd da und zerteilte mit Messer und Gabel einen Pfirsich.
    »Ich meine damit Menschen«,
erwiderte Sait Nedim schließlich lächelnd, »die so wie Ihr Vater um die Bedeutung
von Geld und Familie wissen.« Selbstgewiss sah er daraufhin seine Gattin, dann
seine Schwester und die beiden anderen Frauen am Tisch, nämlich Perihan und
Nermin, an. Als er aus deren Blicken nicht die erhoffte Wirkung ablas, fühlte
er sich genötigt, noch einmal auszuholen. »Ich sehe schon, ich habe mich nicht
deutlich genug ausgedrückt! Ich versuche es noch einmal, aber erst, nachdem wir
Kaffee getrunken und geraucht haben, denn

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