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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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die Damen
scheinen meiner Geschwätzigkeit schon überdrüssig zu sein!«
    Daraufhin wurde gebührend beteuert,
wie hochinteressant Sait Nedims Darlegungen seien und wie anschaulich erzählt,
und Nermin betonte sogar, für jeden sei das Gehörte ein Gewinn. Darauf musste
Sait Nedim sich in künstlicher Bescheidenheit üben. Es sei ja vielleicht
tatsächlich interessant, was er so erzähle, aber er habe nun mal ein lockeres
Mundwerk, und habe er nicht eine der Damen während seiner Ausführungen sogar
gähnen sehen? Wieder hagelte es Proteste, nun aber weniger überzeugend.
Refık sah, wie Perihan errötete. Gegähnt hatte zuvor niemand anders als
sie, nicht aber aus Desinteresse, sondern einfach so. Perihan sah immer wieder
auf den Irish Setter, der neben dem Tisch auf dem Boden lag.
    Sie standen vom Esstisch auf und wechselten
in ein geräumiges Zimmer über, in dessen Mitte ein messinggetriebenes
Kohlenbecken stand. Mit seinem breiten Erker ragte das Zimmer in den Garten
hinaus, und der von der hohen Decke herabhängende Kronleuchter warf sein Licht
bis auf die Linde vor dem Fenster. Wie die meisten Gärten in
Nişantaşı war auch dieser vor allem von Linden und Kastanien
bestanden. Bevor sie sich zu dem Essen niedergesetzt hatten, das Sait Nedim zum
Andenken an Cevdet gab und um in Erinnerungen schwelgen zu können, hatte der
Hausherr vor dem regendräuenden Abendhimmel Erläuterungen zur Historie jener
Bäume geliefert. Nun sprach er über die Geschichte des Konaks selbst und
darüber, wie er das vom Vater geerbte Haus zu neuem Leben erweckt habe. Es habe
ihn einiges gekostet, den weiten Empfangsraum in einen Salon zu verwandeln. Den
Fußboden habe er von Grund auf erneuern lassen, und auch einige Zwischenwände
habe man einreißen müssen, doch sei der Gesamtcharakter bewahrt worden. Im
Gegensatz zur landläufigen Meinung sei er nämlich der Ansicht, Altes lasse sich
durchaus in Neues umwandeln. Wer sich nicht kurzlebigen Moden unterwerfe,
sondern geschickt und beständig zu Werke gehe, der könne am Althergebrachten so
lange herumbasteln, bis etwas Neues entstanden sei, und so mit klugen
Kompromissen das Alte an die neue Zeit anpassen, anstatt alles niederzureißen
und völlig neu aufzubauen. Kaum hatte Sait Nedim das ausgeführt, da klagte er
schon wie der über seine Schwatzhaftigkeit und erklärte, er werde vielleicht
wieder auf dieses Thema zurückkommen, falls er es noch einmal wage, über Cevdet
zu sprechen, doch einstweilen wolle er erst einmal seine Gäste zu Wort kommen
lassen.
    In dem dann entstehenden Schweigen
trabte der Irish Setter in den Raum. Allen stand die gleiche sorgenvolle Frage
auf der Stirn: »Worüber sollen wir uns jetzt nur unterhalten?« Kurz vor dem
Essen hatte es ein wenig genieselt, und dabei war bereits über das heiße
Augustwetter gesprochen worden, desgleichen waren die Trauer Nigâns und die
nach Cevdets Tod in der Firma vorgenommenen Änderungen als Thema schon
abgehakt. Man hatte auch Refıks und Perihans nun zwei Monate alte Tochter
gewürdigt und war auf alles eingegangen, was die Zeitungen über den Lauf von
Welt und Heimat zu berichten wussten, und da bei niemandem ernsthafte
Gesundheitsbeschwerden vorlagen, stellte sich tatsächlich die Frage, worüber
nun eigentlich noch geredet werden sollte. Auch dem Hund war das Schweigen
nicht ganz geheuer; er sah ratlos umher, bevor er sich neben dem Kohlenbecken
niederließ.
    Refık dachte: »Warum sind wir
überhaupt hier?« Nun, er hatte gehofft, gutes Essen und ein gesprächsfreudiger
Gastgeber würden ihn von seiner zunehmenden Unruhe und den verletzenden
Diskussionen ablenken, die er mit Perihan immer wieder über das Ziel führte, auf
das ein Leben hinauslaufen müsse, doch nun saß er da und dachte wieder über
sich selbst nach, über sein Leben, über Perihan und noch dazu auch über die
verwitwete Güler, über die er sich immer noch nicht im klaren war. Da schlichen
sich nämlich tückische Gedanken an ihn heran, von der Art, die ein gesunder,
ausgeglichener Verstand am besten gar nicht zuließ, doch an ihn pirschten sie
sich beharrlich heran. »Den ganzen Sommer über habe ich nichts Rechtes
angefangen!« schalt er sich selbst. »Ich bin keinen Schritt weitergekommen,
sondern nur einfach wieder in die Firma gegangen. Habe mit Perihan
herumgesessen, mich über die Hitze beklagt und bin zu keinem Entschluss
gekommen. Gelesen habe ich ein wenig, das schon, aber wozu? Jetzt schwirrt mir
auch noch diese Witwe im Kopf

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