Cevdet und seine Soehne
hatte
Cevdet schon damals gesagt, dass sie sich ein Haus auf einer der Prinzeninseln
wünsche. Cevdet hatte gemeint, fürs erste würden sie sich mit gemieteten
Häusern begnügen müssen. Sie fuhren damals immer auf Büyükada. Dann hatte
Cevdet ihr eines Tages verkündet, er habe ein Grundstück gekauft, auf
Heybeliada, und da er wusste, dass Nigân eher auf Büyükada spekulierte, hatte
er sogleich eine wortreiche Begründung nachgeliefert: Da auf Kınalıada lauter Armenier
seien, auf Burgazada Griechen und auf Büyükada Juden, bliebe einem türkischen
Kaufmann nichts anderes übrig als Heybeliada. Scherzhaft hatte er hinzugefügt,
sogar der große İsmet Paşa, ein Freund der türkischen Kaufleute und Soldaten,
habe sich auf Heybeliada ein Haus gekauft, weil dort eine Militärschule sei und
lauter türkische Kaufleute. Da hatte Nigân nicht länger widerstehen können und
gelächelt. Sie war eben ein Mensch, der sich im rechten Moment zu bescheiden
wusste. Blinzelnd ließ sie sich diesen wohltuenden Gedanken durch den Kopf
gehen. Der fliegende Händler aber plärrte noch immer aus vollem Hals.
Es war ein schmuddelig gekleideter,
grauhaariger Mann um die Sechzig. In der einen Hand hatte er eine alte Tasche,
mit der anderen hielt er ein Thermometer in die Luft und rühmte dessen
Qualitäten. Das in eine Fassung aus lackiertem Holz gebettete Thermometer
schwimme auf Wasser, so dass sich damit bestimmen lasse, wie warm das Meer sei.
Auch zum Messen der richtigen Badetemperatur für kleine Kinder und alte Leute
sei es bestens geeignet. Europäische Ware! Der Verkäufer ging durch die
Sitzreihen und kam auch an Nigân so nahe heran, dass sie ihn begutachten
konnte. Sein altes Jackett platzte aus allen Nähten, und die Hose war voller
Fettflecken. »Wann wird dieses Volk einmal lernen, sich anständig anzuziehen,
ordentlich zu sprechen und sich jeden Morgen zu waschen und zu rasieren?« Ihr
fiel wieder Atatürk ein, und mit Bedauern dachte sie an seine Krankheit. Sie
wandte ihre Blicke von dem Verkäufer ab, um ihn nicht zum Näherkommen zu
animieren. Andererseits mochte dieses Thermometer eine recht praktische
Angelegenheit sein. Aber so war es eben in der Türkei: In den Läden war nichts
zu bekommen, und wer etwas Brauchbares wollte, musste es sich entweder aus
Europa kommen lassen oder aber, so wie nun gerade ein Herr mit Panamahut, bei fliegenden Händlern
einkaufen. Der positive Eindruck, den Nigân beim Anblick der gepflegten
Räumlichkeiten gewonnen hatte, war längst verflogen, und es überwog wieder – was die Türkei anging – ihr üblicher Pessimismus. Der Verkäufer, froh über
seinen Kunden, plärrte nun noch mehr und hielt das Thermometer jedem einzelnen
Fahrgast vor die Nase.
Durch die Reisenden, zumeist
Griechen, Armenier und Juden, ging ein Ruck: Gleich würde der Dampfer seine
erste Station erreichen, die Insel Kinaliada. War es ohnehin schon ziemlich
laut gewesen, stieg der Lärmpegel nun bis in Unerträgliche an, weil
aussteigende Mütter nach den Dienstboten riefen, damit nur ja nichts vergessen
wurde, Kinder greinten, weil sie Angst hatten, verlorenzugehen, und gereizte
Väter murrten. In solchen Situationen dachte Nigân immer, dass sie die
Minderheiten und die Kaufmannsfamilien doch eigentlich verabscheute. Obwohl ihr
Mann mit diesen Leuten geschäftlich viel zu tun gehabt hatte, konnte sie nicht
umhin, sich und ihre Familie als etwas Besseres zu betrachten. Cevdet
entstammte einer muslimischen Familie, in deren Garten es nach Geißblatt
duftete, und er hatte eine Passtochter geheiratet. Nigân sah von den anderen
Reisenden weg und ließ ihren Blick voller Wohlgefallen auf ihrem Sohn und ihrer
Schwiegertochter ruhen.
Die beiden saßen nebeneinander wie
brave Kinder, unterhielten sich leise und sahen hin und wieder zum Fenster
hinaus. Nigân konstatierte befriedigt, dass sie eben nicht diesen lärmenden
Menschen ähnelten, und sie war Cevdet wieder einmal dankbar für diese Familie.
Dann aber fiel ihr die heftige Diskussion ein, die Nermin und Osman wenige Tage
zuvor geführt hatten. Eine Diskussion konnte man es kaum noch nennen, doch
widerstrebte es Nigân, einen drastischeren Begriff dafür zu verwenden. Vor drei
Tagen war es gewesen, beim Abendessen, vor aller Augen also. Es war um den
Kühlschrank gegangen, neben dem Nuri jetzt da unten stand, aber auch noch um
anderes, was Nigân mehr Sorgen bereitete. Aus dem verständlichen Unmut einer
Frau heraus, die den ganzen Tag lang
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