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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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anlangten, sagte dieser: »Für mich gibt es nur noch
Amerika!« Er redete mit sich selbst. »Nur noch Amerika!« Dann wandte er sich zu
Refık: »Was machen Sie jetzt eigentlich? Wie wollen Sie aus der Geschichte
wieder herauskommen?« Er deutete auf den Himmel, auf die Hügel. »Aus dieser
Dunkelheit?«
    Ömer sagte spöttisch: »Auf jede
Nacht folgt ein neuer Tag, mein Freund! Machen Sie sich nur um uns keine
Sorgen!« Er lachte.
    »Und ich sehe auch gar nicht so
schwarz!« sagte Refık.
    »Dann kommen Sie noch mit rein, ich
mache uns Kaffee, und wir reden noch ein bisschen!«
    Dazu hatte Ömer eigentlich keine
Lust, denn sie hatten über diese Themen schon so und so oft bis in den Morgen
hinein diskutiert, ohne je auf einen grünen Zweig zu kommen. Doch der gesprächsbedürftige
Deutsche tat ihm leid, so dass er das Angebot annahm, wenn auch mit dem festen
Vorsatz, sich selber nicht einzumischen. Herr Rudolph ließ den Generator an;
bis in den Morgen hinein würde er sowieso nicht schlafen können. Dann kochte er
Kaffee. Als er sich in seinen Sessel setzte, sah er prüfend Ömer an, ob dieser
wohl die Diskussion wieder mit seinen spöttischen Nadelstichen anheizen würde.
Dann wandte er sich entschuldigend an Refık.
    »Was Neues habe ich Ihnen gar nicht
zu sagen. Ich werde also wieder das gleiche behaupten, und Sie werden
vermutlich die gleichen Antworten geben, aber ich sage es trotzdem, auch wenn
wir unseren Herrn Eroberer damit etwas langweilen werden. Also, es ist nun mal
so, dass hier, also im Orient, Finsternis und Sklaventum herrschen. Was ich
damit meine, habe ich ja schon hinreichend ausgeführt, nämlich dass die
Menschen hier nicht frei sind, oder etwas metaphysisch ausgedrückt, dass ihre
Seelen gefangen sind. Und darauf wissen Sie ja auch nicht viel zu erwidern!«
    »Stimmt, aber zumindest formuliere
ich das anders, und zwar ohne auf die Seelen zurückzugreifen! Und mit dem
Hinweis, dass hier in der Türkei zumindest die gesetzlichen Grundlagen für die
Freiheit schon geschaffen sind und …«
    Ömer merkte gleich, dass ihn das
nicht interessieren würde. Er stand auf und ging im Zimmer umher. »Kindereien!«
dachte er. »Immer die gleichen öden Diskussionen! Angelesenes, lächerliches
Zeug! Und das amüsiert sie auch noch! Wenn doch wenigstens hin und wieder was
Neues dabei wäre!« Er gähnte und griff dann zu einer von Herrn Rudolphs
Schachzeitschriften. »Weiß zieht an und setzt in zwei Zügen matt, und zwar ohne
mit dem Springer zu ziehen. Wie?« Er hörte, wie Refık weiter ausholte und
Herr Rudolph alles tat, um das Gespräch in die Länge zu ziehen. »Der Mensch
braucht ein Ziel im Leben! Und mein Ziel ist es, ein Eroberer zu werden!« Er
merkte, dass er die Aufgabe nicht allein mit
dem Diagramm lösen konnte, und stellte das Schachbrett auf. Refık und der
Deutsche waren spürbar erleichtert, dass er sich mit Schach beschäftigte. Ömer
machte sich gleich an die nächste Aufgabe, damit die beiden ihre Ruhe hatten.
Eine dritte Aufgabe, bei der als maximale Lösungszeit eine Viertelstunde
angegeben war, löste er anschließend in zwanzig Minuten, und dann eine weitere
in zehn Minuten, was ihn laut Zeitschrift lediglich als Schachlehrling
qualifizierte. Um sich zu beweisen, dass er ganz im Gegenteil ein Schachmeister
war, löste er gleich noch eine Aufgabe und kam verärgert zu dem Schluss, dass
die Zeitschrift Unsinn verzapfe. Als er hörte, dass Herr Rudolph schon wieder
Hölderlin zitierte, stand er auf.
    »Amen! So, jetzt ist aber
Schlafenszeit!«
    Herr Rudolph durfte Ömer nicht allzu
böse sein, war er doch diesmal von dessen Sarkasmen verschont geblieben. So
sagte er nur wie immer: »Ach, eines Tages werden Sie schon noch begreifen!«
    Auf dem Heimweg fragte Ömer: »Was
hast du bloß immer zu reden mit ihm? Ist doch jedesmal das gleiche!«
    »Das stimmt schon« erwiderte
Refık in ruhigem, dozierendem Ton. »Aber es lohnt sich wirklich, über
diese Themen zu reden.«
    Ömer ließ zweimal die Hand durch die
Luft sausen, als versetzte er Ohrfeigen. »Leeres Geschwafel!«
    »Wir haben doch früher auch soviel
diskutiert, Muhittin, du und ich!«
    »Mag sein, aber das hat damals Spaß
gemacht! Jetzt zieh nicht so ein Gesicht, wenn du willst, können wir ja
diskutieren. Aber worüber? Und was soll damit gelöst werden? Ich finde, das
einzige, worüber zu reden sich lohnt, ist dieses Festbankett heute abend. Warum
ist das so abgelaufen? Warum muss alles immer so banal sein? Aber du hast

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