Cevdet und seine Soehne
Stimme: Es
war Hacıs zottiger
Hirtenhund.
»Pst, Toraman, sei still!« flüsterte
Hacı.
Refık sah auf die Uhr: kurz nach
zwölf! »Heute wird er fertig! Heute, am 8. September 938!« An Ömers Tunnel
würde heute die Schienenlegemaschine anlangen. Und Ömer würde entweder
rechtzeitig mit den Arbeiten fertig werden und diesen Zug durchlassen können
oder pro Tag tausend Lira Strafe zahlen und den Verzug so schnell wie möglich
aufholen müssen. Refık hatte aber schon vor dem Schlafengehen den Eindruck
gehabt, dass Ömer es noch schaffen würde.
Refık war vier Stunden vorher
zum Tunnel hinaufgegangen und hatte mit angesehen, wie fieberhaft dort
gearbeitet wurde. Ömer hatte gesagt, es würde höchstens zu einem halben Tag
Verspätung kommen, doch wahrscheinlich würden sie pünktlich fertig. Er hatte
zwei Tage lang nicht geschlafen, und auch die Arbeiter leisteten doppelte
Schichten. Refık stieg aus dem Bett. Gähnend ging er durchs Zimmer. In der
Nacht zuvor hatte er nicht schlafen können, teils weil ihn die Hektik an der
Tunnelbaustelle erfasst hatte, teils aber auch, weil er sich um seine eigene
Zukunft Sorgen machte, um das weitere Schicksal seines »Dorfprojekts«, das nur
noch ins reine geschrieben werden musste. Die ganze Nacht hatte er am Tisch
gesessen und wiedergelesen, was er da im Verlauf von Monaten geschrieben hatte;
hatte an einzelnen Stellen herumkorrigiert und sich schließlich ins Bett
gelegt, aber er konnte einfach nicht schlafen, und so war er gegen Morgen zum
Tunnel gegangen und war dann nach seiner Rückkehr von dem bellenden Hund
geweckt worden.
Er ging auf die Toilette, in der er
jedesmal an den Tag seiner Ankunft denken musste und sich an das erinnerte,
worüber er mit Ömer gesprochen hatte, während sie auf die Toilettenfliesen
starrten. Er sah in den Spiegel und sah sein braungebranntes Gesicht. »Jetzt
hast du mal Farbe im Gesicht«, hätte Perihan gesagt, wenn sie ihn so gesehen
hätte. Als er damals gekommen war, hatte er sich den Schnurrbart abgeschnitten.
Vor sieben Monaten. Er erfrischte sich das Gesicht und ging in sein Zimmer
zurück. »Sieben Monate!« Er setzte sich auf den Bettrand.
Auf dem Tisch lag das, was er »meine
Projekte« nannte: ein Stapel Papiere, der sich gar nicht mehr so leicht mit
einer Hand abwiegen ließ. Daneben die Bücher, die er immer wieder von neuem
las. Auch das gerahmte Goethebild stand da, das ihm Herr Rudolph geschenkt hatte vor seiner Abreise
nach Amerika vor einem Monat. Während er damit beschäftigt gewesen war, seine
in zwei großen Koffern und einer Truhe verstauten Sachen auf einen Lastwagen zu
hieven, hatte er plötzlich Refık mit verschämter Miene dieses Geschenk
hingehalten, errötend und stammelnd, sich dann aber zusammengerissen und stolz
den Kopf zurückgeworfen, war er doch immerhin ein »von« und sein Vater ein
General, und zum Abschied hatte er Refık und Ömer noch gesagt, dass er
schon sehr neugierig sei, was aus diesen jungen Menschen und diesem jungen Land
noch einmal werde. Refık stand vom Bettrand auf. »Ja, was soll noch
werden? Und was soll ich jetzt machen?« Seine Projekte waren fertiggeschrieben.
Seit zehn Tagen tat er nichts anderes, als sie immer wieder zu lesen. Er würde
zusammen mit Ömer nach Ankara fahren und sich dort mit Süleyman Ayçelik
treffen, dem Verfasser von Reform und Organisation, und mit Hilfe von
Ömers Schwiegervater würde er Kontakt zu Abgeordneten und Ministern suchen.
»Jetzt schreibe ich erst einmal an Perihan. Entscheiden muss sich alles in
Ankara!«
Er setzte sich an den Tisch, konnte
sich aber nicht zu dem Brief aufraffen, schrieb er doch nie etwas anderes, als
dass sich seine Rückkehr noch etwas verzögere und er nach Perihan und seinem
Kind große Sehnsucht habe. Wenn er dann doch von dem Leben und den Menschen
hier berichtete, war er sich bewusst, Perihan damit zu verärgern. Er rang sich
ein paar Zeilen ab, ließ es dann wieder. Sein Blick schweifte zu einem Buch ab,
Yakup Kadris Ankara. Er hatte den Roman schon mehrfach gelesen und war
stets begeistert gewesen über den Eifer, den der Autor den Reformen und der
neuen Türkei entgegenbrachte. Bei jeder Lektüre des Buchs kam ihm wieder in den
Sinn, dass es auch in Ankara Leute wie ihn selbst gab, die etwas bewegen
wollten, und das war ihm dann jedesmal eine Beruhigung. Er schlug den Roman auf
und las, aber nach einer halben Seite fiel ihm der Tunnel wieder ein. »Ob sie
es wohl schaffen?« Unschlüssig stand er auf. Dann
Weitere Kostenlose Bücher