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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orhan Pamuk
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so mehr veränderte sich ihre
Erinnerung an jene Begegnung. Nermins Lächeln am Bahnhof Sirkeci kam Perihan
immer furchtbarer vor, ja es vollzog einen Bedeutungswandel, als sollte es
einzig und allein sie verspotten: »Schau nur, was ich mich traue! Ich bin als
Frau derartig frei, dass du das nicht einmal begreifen kannst! Du hast viel
zuviel Angst vor so etwas und wartest brav auf deinen Mann!« Perihan merkte,
dass sie schon wieder ins gleiche Fahrwasser geriet und gleich darüber
nachdenken würde, wohin Nermin in ihrem grünen Kleid wohl gehen würde, und um
sich abzulenken, griff sie wieder zur Zeitung. Kaum hatte sie ein paar Zeilen
gelesen, da klopfte es, und mit einem Lächeln kam Ayşe herein.
    Gähnend machte sie die Tür hinter
sich zu, küsste Perihan auf die Wangen und ging dann zu Meleks Bettchen. »Du
kleiner Schreihals, was du schon plärren kannst!«
    »Ach, hat sie dich aufgeweckt?«
    »Macht doch nichts, ich wollte
sowieso früh aufstehen!« Sie ging zum Fenster und streckte sich. »So ein
schöner Tag!« Dann stellte sie sich wieder an Meleks Bett und hielt ihr die
Rassel hin, die dort lag. Sie trug ein blaues Seidennachthemd.
    Perihan betrachtete ihren weißen
Hals und ihren Brustansatz. Sie war aus der Schweiz als ein ganz neuer Mensch
zurückgekommen.
    »Na du, na? Schau mal da! Erkennst
du deine Tante, kleine Melek, erkennst du sie?« Dann legte Ayşe die Rassel
hin, streckte sich wieder und kratzte sich den Kopf.
    »Da hat wohl jemand nicht genug
Schlaf gekriegt!«
    »Ich bin spät ins Bett, so um zwei.
Es war aber auch zu schön gestern!«
    Perihan wusste schon, dass sie mit
Fuat und Leylâs Sohn Remzi und dessen Freunden zusammengewesen war. »Wo seid
ihr denn hin?«
    »In so ein neues Restaurant in
Beyoğlu, beim Tunnel. Wirklich nett dort. Jetzt gibt es bei uns endlich
auch gute Lokale, das hat mich richtig gefreut. Dann waren wir noch bei Tante
Leyla, und auf dem Heimweg haben wir in Emirgân Tee getrunken. Weiß meine
Mutter, wie spät ich nach Hause gekommen bin?«
    »Vorhin hat sie gefragt, ob du
endlich wach bist!« erwiderte Perihan komplizenhaft.
    »Ist doch auch egal, wann ich
heimkomme, oder? Und dass ich mit denen ausgehe, das wollte sie selbst doch vor
vier Monaten.« Sie ging zum Fenster und wandte sich plötzlich um: »Er ist aber
auch wirklich nett!«
    Perihan fragte nicht einmal, wen sie
da meinte, sondern lächelte nur verständnisvoll.
    »Wirklich, er kümmert sich so toll
um mich, dieser Remzi. Immer denkt er nur an mich. Ein echter Gentleman. Vornehm.
Großzügig. Aufrichtig. Ach, schau dir bloß meine Mutter an, wie sie verdrossen
da sitzt und auf mich wartet.« Sie öffnete das Fenster und rief hinunter:
»Huhu, ich bin jetzt auf! Jaja, ich komm gleich runter!«
    Sie wandte sich wieder zu Perihan
und wusste im ersten Augenblick nicht mehr, worüber sie geredet hatten. »Ach
ja, wirklich nett ist er! In der Schweiz hat er sich auch schon so um mich
gekümmert. Mich ärgert bloß, dass ich hier nicht schon begriffen habe, wie er
eigentlich ist. Ich muss schon komisch gewesen sein, was? Ich sehe das Leben
ganz anders jetzt! Was lachst du denn? Nein, wirklich, wenn man dort ist,
kriegt man ein anderes Bild von der Welt!« Ihre Augen glänzten. »Es ist alles so
anders dort und viel schöner … Wann wird es bei uns mal so sein, habe ich mir
immer gedacht. Wird es das überhaupt mal? Hoffentlich! Du musst dort unbedingt
auch hin, Perihan. Fahr doch mit meinem Bruder hin!« Sie verstummte, als hätte
sie einen Fauxpas begangen.
    »Ach, ich weiß nicht«, erwiderte
Perihan versonnen.
    »Du willst doch nicht immer in
diesem Zimmer herumsitzen! Ich red mal mit meinem Bruder! Vielleicht fahren wir
ja zusammen hin! Dort sieht man die Dinge ganz anders. Ich habe dort erst so
richtig begriffen, dass ich lebe. Man wird einfach ein anderer Mensch. Ob das
jetzt an den Leuten liegt … Na ja, egal. Auf jeden Fall habe ich nicht mehr
vor, nur noch zu Hause herumzuhocken. Wahrscheinlich schreibe ich mich an der
Uni ein, aber genau weiß ich es noch nicht. Und wer weiß, in einem Jahr, vielleicht
werde ich dann …« Sie errötete lächelnd.
    Da ging die Tür auf, und Nuris Sohn
Yılmaz trat ein, mit einem Brief in der Hand. Perihan wusste sofort, dass der
Brief nur von Refık sein konnte. Also wieder einen Monat später?
    Yılmaz überreichte den Brief
Ayşe und sagte: »Die gnädige Frau erwartet Sie unten!« Er war dabei sehr
bemüht, nicht auf Ayşes Dekolleté zu sehen.
    »Ich komme

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